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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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soll, und bin mehrmals um irgendeinen Häuserblock marschiert. Wir hörten die Sirenen. Und da stand plötzlich dieser Mann vor uns. Mir kam vor, ich hätte ihn gerade erst gesehen, dort am Unfallort, kurz bevor ich mit dem Kind weg bin. Aber sicher war ich mir nicht. Jedenfalls hat er mir für meine Mithilfe gedankt, dann aber erklärt, das Kind jetzt zu übernehmen. Ich habe mich geweigert, natürlich habe ich das. Da hat er mir seinen Ausweis unter die Nase gehalten…«
    »Was für einen Ausweis?« fragte der untersuchende Polizist.
    »Ich weiß es nicht. Etwas Staatliches, etwas mit einem Stempel. Er hat es mir nicht erklärt. Er dachte wohl, ich wäre beeindruckt. War ich aber nicht. Ich habe ihm gesagt, ich bringe das Kind zu seiner Mutter. Darauf hat er gemeint, daß er das selbst erledigen würde. Ich bin aber hartnäckig geblieben, habe verlangt, das Mädchen zu begleiten. Ich war jetzt ziemlich klar im Kopf. Leider zu spät. Der Kerl hat mir einen Schlag versetzt und mir das Kind aus der Hand gerissen. Er war ungemein grob.«
    »War da niemand in der Nähe, der Ihnen geholfen hat?«
    »Ein paar Leute haben herübergesehen. Ein paar Leute sehen ja immer herüber. Oder?«
    »Wo ist der Mann hin?«
    »Er ist mit dem Kind in einen Wagen gestiegen. Der Wagen hatte gewartet. Diese Leute waren gut organisiert.«
    »Und Sie?«
    »Ich wollte das Kind schützen.«
    »Weil Sie ein guter Mensch sind?«
    »Muß man ein guter Mensch sein, um ein kleines Mädchen schützen zu wollen?« erkundigte sich Andrea Pero. Sie bedachte den Fragesteller mit einem Blick, als streiche sie ihn von der Liste derer, die in den Himmel kommen.
    Der Mann aber meinte: »Warum haben Sie nicht spätestens dann die Polizei gerufen?«
    »Ich hätte der Polizei kaum helfen können, die Kleine zu finden. So wenig, wie ich es jetzt kann.«
    »Sie hätten uns helfen können, Zeit zu sparen, Frau Pero.«
    Da hatte der gute Mann aber wirklich recht. Das sah auch Andrea Pero ein. Sie gab zu, es sei ein Fehler gewesen, nicht angerufen zu haben. Man müsse das jedoch verstehen. Zwei ihrer Brüder hätten Haftstrafen hinter sich, ihre ganze Familie befinde sich im Visier der Behörden. Eigentlich das ganze Viertel. Dazu ergänzte sie: »Und das nicht einmal zu Unrecht. Es steckt ein Wurm in diesem Viertel.«
    »Und wie sich zeigt«, meinte der Polizist, »steckt der Wurm auch in Ihnen.«
    »Wenn Sie das so sehen, kann ich es nicht ändern.«
    »Tut es Ihnen nicht leid um das Kind?« fragte der Beamte.
    »Es tut mir schrecklich leid um das Kind«, antwortete Pero. »Vor allem, weil ich nicht weiß, wer diese Leute waren. Weil ich nicht weiß, was ich von alldem zu halten habe. Natürlich dachte ich, der Ausweis von dem Typen, das sei eine Finte. Was aber, wenn nicht. Wäre es da nicht besser, nicht mit der Polizei zu sprechen. Ich frage Sie: Was hat dieses Kind für eine Bedeutung?«
    Der Polizist stöhnte. Er mochte es nicht, Fragen gestellt zu bekommen. Dafür war er nicht Polizist geworden. Also erkundigte er sich nach dem Aussehen des Mannes mit dem Ausweis, der nun praktisch die Rolle des »Phantoms« übernommen hatte. Wenn er denn tatsächlich existierte.
    Die Beschreibung Peros blieb ausgesprochen vage, reduzierte sich im Grunde darauf, daß sie sagte: »Er hat eine Sonnenbrille getragen.«
    Das Fehlen der Augen ist immer problematisch. Denn Augen haben nicht nur eine spezielle Farbe, sie versetzen auch das restliche Gesicht in diese Farbe. Rotbraune Augen erzeugen ein rotbraunes Gesicht, blaue Teichaugen ein Teichgesicht, Waldaugen ein Waldgesicht, Sonnenbrillen aber machen ein Sonnenbrillengesicht, welches mit dem eigentlichen Konterfei wenig zu tun hat. Wie Hüte ein Hutgesicht machen und selbst das freundlichste Antlitz noch herb und rauh und blutrünstig erscheinen lassen. Nicht wenige Menschen, die Hüte tragen, wollen solcherart ihre Gutmütigkeit verbergen. Darum auch wurden früher die Hüte gelüftet, um für einen flüchtigen Moment zuzugeben, daß man eigentlich ein netter Kerl sei.
    »Es ist alles viel zu schnell gegangen«, sagte Andrea Pero. »Außerdem war ich damit beschäftigt, das Kind festzuhalten.«
    »Dennoch haben Sie versagt«, stellte der Polizist fest.
    »Dennoch habe ich versagt«, bestätigte Pero.
    Alle vor und hinter der Scheibe warteten darauf, daß Frau Pero noch etwas anfügte. Aber sie fügte nichts an. Das schien so ein bißchen ein Trick von ihr zu sein, nicht weiterzureden, wenn es sich eigentlich

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