Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Breite.«
»Woher?«
»Eine Sache mit einem Messer.«
»Eine Sache?«
»Sie hat sich selbst verletzt.«
»Wie selbst verletzt?« fragte Lukastik.
»Wir hatten einen Streit. Sie hat nach einem Messer gegriffen… Gott weiß warum Frauen immer nach Messern greifen?«
»Nach meiner Erfahrung«, sagte Lukastik, alles andere als ein Frauenversteher, »greifen zum Beispiel Karatekämpferinnen nie nach Messern.«
»Wie auch immer«, ignorierte Kasos den Einwurf, »ich habe versucht, ihr das Messer aus der Hand zu nehmen. Da ist es passiert. Ein Unfall.«
»War Chiara dabei?«
»Was hat das damit zu tun?«
»Einiges.«
»Sie hat oben geschlafen.«
»Ist der Vorfall aktenkundig?«
»Der Unfall ja. Der Streit nicht. Was verlangen Sie, Inspektor? Ich erzähle Ihnen das, damit Sie Anhaltspunkte haben, nicht, um mir moralische Vorträge zu halten.«
»Würde mir nicht einfallen. Aber Sie verzeihen schon, daß ich mir ein Bild mache. Quasi ein Bild ohne Papst.«
Kasos schüttelte den Kopf und erklärte: »Ich bringe Sie jetzt in Ihr Hotel. Dort können Sie weitertrinken.«
Lukastik hatte gerade mal das eine Glas halb geleert. Aber es war wohl ein oft geübter Trick des Professors, andere Leute in die Alkoholikerecke zu stellen.
Der Leider-nein-Alkoholiker Lukastik stand bereits an der Tür und richtete sein Sakko, als er wie nebenher fragte, ob Kasos je Chiaras richtige Mutter kennengelernt habe.
»Was ist denn für Sie eine richtige Mutter?« übernahm nun Kasos die moralische Linie.
»Sie wissen, wie ich es meine.«
»Ich habe keine Ahnung von dieser Frau. Wir wollten sie nicht kennenlernen, und sie wollte uns nicht kennenlernen.«
»Haben Sie je den Namen Vinzent Olander gehört?«
»Wer ist das?«
»Ob Sie ihn gehört haben?«
»Nein.«
»Noch etwas! Der Name Ihrer Tochter…War das Ihre Idee, aus Clara eine Chiara zu machen?«
»Ich verstehe Sie nicht, Inspektor. Wir haben das Kind gleich nach seiner Geburt adoptiert. Es hatte keinen Namen. Zumindest keinen, von dem wir wußten.«
»Und Chiara hat also nie von Ihrer leiblichen Mutter erfahren?«
»Nein, und ich würde Sie sehr bitten, daß wenn Sie Chiara finden – gleich, was dann geschieht –, diese Sache aus dem Spiel zu lassen.«
»Soweit das möglich ist, gerne. Es drängt mich sowieso nicht, mit einem Kind zu reden.«
»Sie mögen keine Kinder?«
»Ich habe noch nie eines erlebt, das mich verstanden hätte. Warum also sollte es umgekehrt sein.«
Kasos nickte. Dieser Standpunkt war ihm fremd, aber er anerkannte den Nutzen für sich selbst.
Auf der Fahrt sprachen die beiden Männer kein Wort. Es gab jetzt mehr zu bedenken als zu besprechen. Vor dem Hotel reichten sie einander die Hand. Kasos fuhr zurück in seine Bücherfestung, und Lukastik verlängerte noch ein wenig den Abend, indem er sich an die Bar stellte, wie das Männer seines Alter so zu tun pflegen.
Eine Bar ist wie ein Rollstuhl, der nicht rollen kann.
12
Am nächsten Morgen fuhr Lukastik zurück nach Mailand. Er fühlte sich unwohl. Er war nicht gerne in Italien. Er mochte das Licht nicht. Das Licht, von dem so viele schwärmten wie von warmen Semmeln. Ihm aber erschien dieses Licht ungemein aufdringlich. Es verfolgte einen. Und zwar ganz in der Art eines Fernsehstars, dem man nicht entkommt, auch wenn man gar keinen Fernseher besitzt. Weil dieser Fernsehstar von jeder Plakatwand herunter- und aus jeder Zeitschrift herauslächelt.
Genau so verhielt es sich mit diesem italienischen Licht, welches jetzt durch die Jalousie von Lukastiks Zugabteil eindrang, Loch für Loch, die Lücken des Gewebes nutzend. Es war eben naiv zu glauben, der Verzicht auf ein Fernsehgerät sei die Lösung. Oder man bräuchte bloß einen Vorhang zuziehen, eine Sonnenbrille aufsetzen, die Augen schließen, sich totstellen. In Bezug auf ein solches Licht und auf die Leute aus dem Fernsehen nützte es nicht einmal, wenn man gar kein Mensch war, sondern bloß eine Maschine wie Lukastik. Das italienische Licht machte vor nichts und niemand halt, drang in ein jedes Auge ein, auch in ein geschlossenes, auch in ein künstliches.
In Mailand angekommen, traf sich Lukastik mit Longhi in dessen Stammlokal, wo man erneut in einem separierten Bereich saß. Lukastik berichtete, was er zusammengetragen hatte, berichtete von dem Kind, das Yasmina Perrotti in die Welt gesetzt hatte und bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um dasselbe handelte, das von dem Ehepaar Kasos adoptiert worden war. Ein Kind,
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