Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Ist schon okay«, sagte Lukastik und führte das Bild näher an seine Augen heran. Er betrachtete die schwarz gekleidete Frau neben dem Papst. Ein wenig größer als dieser, mit ernsten, ja dunklen Zügen. Eine Frau wie aus der Stummfilmära, auf eine zerbrechliche Weise steinern. Dabei wirkte sie nicht etwa unmodern, aber sie war frei von Mätzchen. Zudem so gut wie ungeschminkt, und sicher nicht nur, weil gleich neben ihr das Oberhaupt der katholischen Kirche stand.
Wenn Kasos meinte, es handle sich um eine schöne Frau, dann im Sinne einer neorealistischen Ästhetik. Man denke an Anna Magnani. Mehr eine Frau als sonstwas.
Lukastik hatte das Gefühl, diese Person schon einmal gesehen zu haben. Natürlich nicht an der Seite des Papstes. Vielleicht auch in anderer Aufmachung, unauffälliger, weniger präsent und die Blicke einfordernd.
War es in Hiltroff gewesen?
Lukastik besaß nun nicht gerade das, was man ein fotografisches Gedächtnis nannte. Auch war er kein Physiognom. Bei ihm funktionierten Überlegungen eher in einer intuitiven Weise, die er als eine logische interpretierte. Dennoch dachte er nun angestrengt nach, wo und wann er dieses Gesicht gesehen hatte. Es war jedenfalls keine Hauptfigur gewesen, keine Person, die im Zentrum einer Gesellschaft oder einer Situation gestanden hatte. Sondern einer dieser Menschen, die rasch vorbeihuschen oder unbeweglich in den dunklen Nischen irgendeines Hintergrunds verharren.
»Wie sagten Sie, heißt Ihre Frau?«
»Sie sind ganz schön vergeßlich, Herr Inspektor.«
»Ach wissen Sie, das mag ja stimmen, aber meine Fälle löse ich trotzdem alle.«
Bumm! Das war ein Argument. Kasos stülpte halb anerkennend, halb verächtlich seine Lippen nach vorn und sagte: »Ihr Name ist Irene. Aber so heißt sie jetzt sicher nicht mehr.«
»Darum geht es nicht«, erklärte Lukastik. »Sondern darum, wie ich sie rufen soll, falls ich meine, ich hätte sie gefunden. Die Menschen mögen sich neue Namen zulegen, aber es dauert ewig, bis sie aufhören, auf die alten zu reagieren.«
»Da haben Sie sicher recht«, stimmte der Professor zu. Er wirkte jetzt weniger forsch und selbstherrlich als noch kurz zuvor. Er hatte sein Pulver verschossen. Denn selbstverständlich war er trotz seiner kräftigen Stimme ein geknickter Mann. Wahrscheinlich liebte er nicht nur seine Tochter, sondern auch noch immer seine Frau, und konnte einfach nicht begreifen, warum sie ihn verraten hatte. Denn er sah sich selbst ja wirklich nicht als Monster. Besitzergreifend, das schon, rechthaberisch, launisch und kränkend, natürlich. Aber schließlich war er nicht Professor geworden, um in Demut alt und älter zu werden. Zudem konnte er auch liebevoll sein. Hin und wieder war ihm danach. Er war ein typischer Primat. Ausgesprochen unbelehrbar. Die Uneinsichtigkeit als intelligenten Zug mißverstehend.
Lukastik dagegen war kein Primat. Allerdings war die Geschichte seines Liebeslebens eine traurige zu nennen. Das soll jetzt nicht in einem kausalen Zusammenhang gesehen werden. Aber daß Männer, die zur Treue neigen, sexuell beliebt sind, kann auch nicht unbedingt behauptet werden.
Der sexuell erfolglose Polizist erkundigte sich nun beim sexuell erfolgreichen, aber nicht minder desillusionierten Sprachwissenschaftler, ob es noch irgend etwas gebe, was er, der Polizist, wissen müsse.
»An was denken Sie?« fragte Kasos.
»Zum Beispiel, woran ich Ihre Frau erkenne, falls es mir nicht mittels dieses wunderschönen Papstfotos gelingt.«
»Sie haben recht. Sie wird natürlich einiges getan haben, um sich zu verändern. Andere Haare, einen anderen Stil…mein Gott, heutzutage kann man seine Augenfarbe austauschen. Und Chiara ist jetzt fast elf. In so einem Alter sind ein paar Jahre eine Epoche. Ich stelle mir vor, es könnte geschehen, daß ich an meiner eigenen Tochter vorbeilaufe.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, erinnerte Lukastik. »Woran ich Ihre Frau erkenne, wenn ich sie nicht gleich erkenne.«
»Ich wüßte nichts, was einem direkt ins Auge sticht. Kein Sternkreiszeichen aus Muttermalen auf der Stirn, kein nervöses Liderzucken, kein verkürztes Bein, kein Sprachfehler. So was meinen Sie doch?«
»Ja.«
»Na, vielleicht haben Sie ja vor, Irene auszuziehen.«
»Das hoffe ich nicht«, meinte Lukastik. »Wenn ich es mit nackten Frauen zu tun habe, sind sie in der Regel tot.«
»Sie hat eine ziemlich große Narbe auf ihrem linken Oberschenkel, fast an der Leiste, über die ganze
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