Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
fand, lag sie bereits unter einem häßlichen kleinen Grabstein und kriegte ihren Mund nicht mehr auf.«
»Und Ihre Adoptiveltern?«
»Das waren gute, brave Leute. Haben alles getan, was man tun konnte. Aber als ich begriffen habe, daß sie nicht meine richtigen Eltern sind, waren sie das auch nicht mehr. Nicht für mich. Sondern eben gute Menschen, die sich lange um mich gekümmert haben. Gute Menschen gibt es nun mal auf der Welt. Es gibt sie, damit Gott die Welt auch mal lächelnd betrachten kann. Aber bin ich Gott? Ich wollte meine Mutter sehen, gleich, was sie getan hat. Sie aber hat sich geweigert. Ein Leben lang. Wie auch Yasmina sich geweigert hat, nach Clara zu suchen. Ich habe sie beschworen, etwas zu unternehmen. Ich wußte doch, was das für ein Kind bedeutet.«
»Kinder sind verschieden«, sagte Lukastik wenig überzeugend. Das war einfach nicht sein Gebiet.
»Kinder sind alle gleich. In diesem Punkt auf jeden Fall. Früher oder später kapieren sie, was los ist. Früher oder später ist es ein Problem.«
»Sie haben sich auf die Suche gemacht, auf die Suche nach Clara.«
»Yasmina wollte das nicht.«
»Das hat Sie aber nicht abgehalten, oder?« Lukastik war jetzt wieder dort, wo er sein wollte.
»Nein, es hat mich nicht abgehalten«, bestätigte Olander, verfiel aber gleich darauf in ein Schweigen. Sein Blick hatte einen zweiten Tropfen Meerwasser abbekommen.
»Und? Haben Sie Clara gefunden?«
Keine Antwort.
»Na gut. Dann sage ich es Ihnen. Sie haben das Kind aufgestöbert. Irgendwie ist es Ihnen gelungen. Sind ein zäher Bursche, und ich denke, Sie waren einmal ein gewiefter Geschäftsmann. Vor dem ganzen Alkohol. Sie konnten Türen öffnen, und Sie konnten Informationen beschaffen. Auch in Italien. Und dann hatten Sie es heraus: Kasos. Herr und Frau Kasos und ihre Tochter Chiara.«
»Wie lächerlich«, meinte Olander, »aus einer Clara eine Chiara zu machen, nur weil man in Italien ist. Und so was schimpft sich Professor.«
»Was geschah dann, als Sie das Mädchen gefunden hatten?«
»Ich wollte mit diesen Leuten reden, sie davon überzeugen, wie wichtig es wäre – für alle wichtig –, dem Kind von seiner richtigen Mutter zu erzählen.«
»Ihre fixe Idee.«
»Wie Sie meinen, Inspektor. Sie können das offensichtlich nicht begreifen. Wie es ist, wenn man erkennt, daß nichts – absolut nichts – so wichtig ist wie ein bestimmtes Kind. Daß der Rest vollkommen bedeutungslos ist. Geradezu unsinnig. Normalerweise sind es eher die Frauen, die das begreifen. Die Notwendigkeit, alles andere auszublenden. Weil alles andere stören würde.«
»Sprechen Sie von Glucken, die Muttersöhnchen und Nesthocker produzieren?«
»Das ist ganz typisch, daß Sie das so sehen. Ich habe es früher auch so gesehen. Aber die Wahrheit ist die, daß unsere Gesellschaft Väter und Mütter diffamiert, die sich um ihre Kinder auch wirklich kümmern. Und die Pädagogen spielen mit. Quasseln was von sozialer Kompetenz, möchten Kindergartenkinder in die Schule stecken und Säuglinge in den Kindergarten, und liefern auf diese Weise den Brennstoff, um jene zu stigmatisieren, die ihre Kinder nicht abschieben. – Glucken!? Was haben Sie gegen Glucken? Mir sind Glucken beim Arsch lieber als diese Weiber, die ihre Kinder am liebsten im Büro zur Welt bringen. Früher wurden die Leute zu so was gezwungen, heute muß man sie zwingen, es zu unterlassen. Natürlich nur wegen der blöden Hygiene.«
»Da hatten Sie nun aber großes Pech«, erklärte Lukastik, »daß Herr und Frau Kasos ähnlich vernarrt in dieses Kind sind.«
»Das stimmt nicht ganz.«
»Sie haben mit den beiden also gesprochen.«
»Mit dem Mann konnte man nicht sprechen.«
»Und mit der Frau?«
»Irene.«
»Wie? Sie nennen sie bei ihrem Vornamen!?« staunte Lukastik.
Olander sah ihn herausfordernd an und meinte: »Tja, und daraus müssen Sie sich jetzt etwas zusammenreimen.«
Was Lukastik nie so recht bedacht hatte, war die Möglichkeit, daß nicht nur Frau Kasos und ihr damaliges Kindermädchen Pero unter einer Decke gesteckt hatten, sondern daß auch Vinzent Olander Teil dieser Gruppe gewesen war, Teil der Verschwörung gegen den Professor. Schließlich hatte Olander ganz eindeutig Kontakt zu Andrea Pero gehabt.
»Was hat der Unfall für eine Bedeutung?« fragte Lukastik. »Der Unfall in Mailand.«
»Finden Sie es heraus«, forderte Olander.
»Ja«, sagte Lukastik in seiner gewohnten Art. »Aber nicht mehr heute. Ich bin müde. Doch
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