Richter 07
überschwenglich, weil er sie auf einem Lager empfing, und wollte sie nach oben führen, um den neuen Wein mit ihnen in aller Ruhe zu probieren. Aber Richter Di sagte:
»Im Augenblick bin ich in großer Eile, Herr Tau. Ich wollte Euch nur sagen, daß ich etwas später am heutigen Nachmittag eine alte Frau ausfragen werde, die vor dreißig Jahren eine berühmte Kurtisane gewesen ist. Ich dachte, Ihr würdet gern dabei sein.«
»Aber gewiß werde ich!« rief Tau aus. »Wie machtet Ihr sie ausfindig? Seit Jahren habe ich nach einer solchen Person gefahndet!«
»Anscheinend haben nur wenige Leute eine Ahnung von ihrem Dasein. Jetzt muß ich noch woandershin, Herr Tau. Auf dem Rückweg nehme ich Euch hier mit.«
Tau Pan-te dankte dem Richter herzlich.
Als sie sich wieder draußen befanden, bemerkte Richter Di:
»Herr Tau scheint sich um sein Geschäft emsiger zu bemühen, als er es mich heute morgen glauben machen wollte.«
»Nur wenige Leute haben eine Abneigung gegen die Kostprobe eines neuen Weins!« bemerkte Ma Jung mit breitem Grinsen.
Wen Yüans Kuriositätenladen lag an einer verkehrsreichen Ecke. Sie fanden ihn vollgestopft mit größeren und kleineren Tischen, die beladen waren mit Vasen, Statuen, Lackkästchen und anderen Antiquitäten jeder Art und Größe. Als der Ladengehilfe mit Richter Dis großer roter Besuchskarte nach oben gegangen war, wisperte der Richter Ma Jung ins Ohr:
»Du gehst mit mir hinauf, ich werde dich als einen Sammler von Porzellan ausgeben.« Er schnitt den lebhaften Widerspruch seines übergroßen Gefährten ab, indem er sagte: »Ich wünsche dich dabei zu haben, als Zeugen.«
Wen Yüan kam dienstfertig herunter und begrüßte den Richter mit einer tiefen Verbeugung. Er begann mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln, doch krampften sich seine dünnen Lippen zusammen, durch die er nur ein verwirrtes Gestotter herausbrachte. Richter Di sagte freundschaftlich:
»Man rühmte mir Eure Sammlung so sehr, Herr Wen, daß ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, sie mir selbst anzusehen.«
Von neuem verbeugte sich Wen tief. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, wurde sichtbar, daß seine Furcht verflogen war, nachdem er den harmlosen Anlaß dieses Besuches des Richters Di kannte. Mit bescheidenem Lächeln sagte er:
»Was ich hier unten habe, ist nichts, Euer Gnaden! Diese Sachen sind nur für dumme Vergnügungsreisende aus ländlichen Bezirken bestimmt. Erlaubt mir, Euch nach oben zu meinen Kunstgegenständen zu führen!«
Der Saal im zweiten Stock war mit guten antiken Möbelstücken geschmackvoll ausgestattet; auf den Regalen an den Wänden stand eine reiche Auswahl von Porzellan. Der Kunsthändler lud Richter Di und Ma Jung in ein kleines Empfangszimmer im Hintergrund, wo er den Richter am Teetisch Platz zu nehmen nötigte. Ma Jung blieb hinter Richter Dis Stuhl stehen. Das gedämpfte Licht der Papierfenster fiel auf die Seidemalereien, die die Wände bedeckten, und zeigte die zarten Farbtöne, die durch das Alter an Tiefe gewonnen hatten, aufs vorteilhafteste auf. Hier war es angenehm kühl, trotzdem bestand Wen darauf, seinen Gast mit einem wundervollen Seidenfächer zu versehen. Als Wen dem Richter eine Schale duftenden Jasmintees einschenkte, sagte der Richter:
»Ich selbst bin an antiken Bildern und Manuskripten interessiert. Ich brachte meinen Gehilfen mit, weil er ein Porzellankenner ist.«
»Ein großes Glück für mich!« rief Wen eifrig aus. Er stellte ein viereckiges Lackkästchen auf den Tisch und nahm aus dem gepolsterten Innern eine schlanke weiße Blumenvase hervor. Dazu sagte er: »Heute morgen brachte mir jemand diese Vase, doch habe ich einige Zweifel wegen ihrer Echtheit. Würde der Herr freundlichst seine Meinung sagen?«
Der unglückliche Boxkämpfer starrte die Vase mit einem so fürchterlich finsteren Blick an, daß Wen sie eilig in das Kästchen zurücklegte und zerknirscht sagte:
»Ja, ich vermutete auch, daß es eine Fälschung ist, aber ich hatte nicht geglaubt, daß sie so schlimm ist. Eins ist gewiß, der Herr versteht etwas von Porzellan!«
Als Ma Jung seinen Platz hinter Richter Dis Stuhl mit einem unterdrückten Seufzer der Erleichterung wieder einnahm, wendete sich der Richter freundlich an den Kuriositätenhändler:
»Setzt Euch, Herr Wen! Wir wollen ein wenig gemütlich plaudern.« Nachdem sich Wen dem Richter gegenüber gesetzt hatte, fuhr dieser wie beiläufig fort: »Nicht über Antiquitäten, sondern über die Lügen, die Ihr heute
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