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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gulik
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nähernde Schritte. Der Gedanke durchzuckte mich, man würde mich des Mordes an Tau aus Eifersucht beschuldigen, wenn man mich bei ihm fände. So lief ich ins Freie und hinüber zum Pavillon der Blumenkönigin. Doch dort war niemand, und so ging ich nach Hause.
    Wie ich nun in meiner Bibliothek saß und mir alle möglichen Erklärungen zurechtzulegen versuchte, erschien bei mir ein Gehilfe des Amtmanns, der mich, den Vorsteher, ersuchen ließ, mich zum Roten Pavillon zu begeben. Dort habe jemand Selbstmord begangen. Ich ging und traf den Amtmann und seine Leute im Roten Zimmer an. Ein Bediensteter hatte den toten Tau durchs vergitterte Fenster dort liegen gesehen. Da die Tür des Roten Zimmers verschlossen gewesen war und der Schlüssel innen auf dem Boden gelegen hatte, folgerte der Amtmann, daß Tau infolge einer selbstbeigebrachten Wunde im Hals verblutet und so zu Tode gekommen war. Einen Dolch hielt der Tote in der verkrampften Hand.
    Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Nach meiner Flucht aus dem Roten Pavillon hatte augenscheinlich der Mörder die Leiche aus dem Wohnzimmer ins Rote Zimmer geschafft, um auf diese Weise die Szene zu verändern und einen Selbstmord vorzutäuschen. Der Amtmann befragte den Herbergswirt über ein mögliches Motiv, worauf dieser angab, Tau Kwang sei in die Blumenkönigin verliebt gewesen. Der Amtmann ließ sie holen. Sie bestätigte, daß Tau Kwang tatsächlich in sie verliebt gewesen sei. Dann setzte sie zu meiner größten Verwunderung hinzu, er habe ihr angeboten, sie freizukaufen. Das habe sie aber abgelehnt. Ich versuchte mit allen Mitteln, einen Blick von ihr zu erhaschen, als sie, vor dem Amtmann stehend, diese grundfalsche Aussage machte, doch schaute sie hartnäckig weg. Dann traf der Amtmann seine Entscheidung. Es sei Selbstmord wegen verschmähter Liebe, so war sein Urteil, und damit schickte er sie wieder fort. Ich wollte ihr folgen, doch er befahl mir zu bleiben. Die Pockenepidemie nahm einen bedrohlichen Umfang in unsrer Gegend an, und das war auch der eigentliche Grund, warum der Amtmann von Tschin-hwa und seine Leute auf der Insel weilten. Jene Nacht arbeitete er unausgesetzt mit mir, um alle Maßnahmen zu treffen, die der Ausbreitung der Krankheit Einhalt gebieten könnten. Ein Teil der Häuser sollte niedergebrannt und andere Notmittel sollten eingesetzt werden. Dadurch hatte ich keine Zeit und Gelegenheit, zu Jadegrün zu gehen und von ihr eine Erklärung für ihr Verhalten zu verlangen.
    Ich sah sie nie mehr wieder. In der Frühe des nächsten Morgens war sie mit den anderen Mädchen in die Wälder geflohen, nachdem die Wächter der Obrigkeit ihre Nachtquartiere in Brand gesteckt hatten. In der Einöde befiel sie die Krankheit; sie starb. Nur ihre Papiere bekam ich, die ein anderes Mädchen an sich genommen hatte, ehe man ihre Leiche auf dem großen Scheiterhaufen der Gemeinde verbrannte.«
    Eine tödliche Blässe hatte Fengs Gesicht überzogen; Schweißperlen waren auf seiner Stirn erschienen. Er tastete nach seiner Teeschale und trank langsam. Dann fuhr er mit müder Stimme fort:
    »Natürlich hätte ich dem Amtmann nunmehr mitteilen müssen, daß Tau Kwangs Selbstmord vorgetäuscht war. Meine Pflicht wäre es gewesen, den Mörder meines Freundes vor den Richter zu bringen. Aber ich wußte ja nicht, inwieweit Jadegrün in den Fall verwickelt war, und sie war tot. Und Wen Yüan hatte mich zum Roten Pavillon gehen sehen. Falls ich den Mund auftat, würde mich Wen des Mordes an Tau Kwang bezichtigen. Ich war ein elender Feigling. Ich blieb stumm.
    Drei Wochen später, als man der Epidemie Herr geworden war und das Leben auf der Insel allmählich wieder normale Formen angenommen hatte, erschien Wen zu Besuch bei mir. Er erklärte, zu wissen, daß ich Tau ermordet und das Verbrechen als Selbstmord vorgetäuscht habe. Wenn ich meinen Posten als Vorsteher nicht an ihn abtrete, würde er mich bei Gericht anzeigen. Ich antwortete ihm, sich nicht abhalten zu lassen. Im Grunde war ich froh, daß nun alles aufgeklärt werden sollte, denn mein Schweigen bedrückte mich jeden Tag schwerer. Doch Wen ist ein verschlagener Bösewicht, der wußte, daß er nichts beweisen konnte. Er wollte mich nur einschüchtern. So unternahm er nichts und beschränkte sich auf die Ausstreuung nebelhafter Gerüchte, die mich als den Verantwortlichen für Tau Kwangs Tod hinstellten.
    Vier Jahre brauchte ich, um Jadegrün aus meinem Gedächtnis zu löschen. Ich heiratete; eine Tochter, Jadering,

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