Richter
erst einmal alles in Ordnung war, dann ging er hinaus und fuhr zu einer nicht allzu nahe gelegenen Telefonkabine. Er kam sich vor wie in Zeitlupe, in seinem Kopf herrschte ein kribbelnder Nebel, der seine Bewegungen hemmte. Er warf den Telefonchip ein, den Sanna ihm gegeben hatte, und wäre im Stehen eingeschlafen, den Kopf gegen das kalte Telefon gelehnt, wenn seine Frau nicht sofort abgenommen hätte.
»Nein, nein, nur die Ruhe, alles bestens, nichts ist passiert. Ich bleibe über Nacht weg, dienstliche Gründe. Nein, mach dir keine Sorgen, morgen erzähl ich’s dir. Ja, der Richterin geht es gut. Ciao, ciao.«
Hatte er da ein metallisches Klicken gehört, während er mit seiner Frau sprach? Hatte er gut daran getan, nicht von Sanna aus zu telefonieren? Oder war das nur die Panik, die sich einstellt, wenn sie zweimal hintereinander versucht haben, dich abzuknallen? An den, den er selbst erschossen hatte, versuchte er nicht zu denken, er hatte das schon einmal erlebt, zu Anfang seiner Laufbahn, und wusste, wie er damit umzugehen hatte.
Also setzte er sich wieder in den Wagen, lehnte den Kopf an die Rückenlehne und hängte die Hände ans Lenkrad, um seine Arme zu entspannen, dachte: Nur eine Minute, eine Minute nur, es ist ja auch gefährlich, in diesem Wagen zu bleiben. Dann schloss er die Augen und schlief ein.
Als er aufwachte, war es fast Morgen geworden. Er rieb sich das Gesicht, ließ das Auto stehen und wanderte zu Fuß durch das Viertel, auf der Suche nach einerBar, die schon geöffnet hatte. An einer zogen sie eben das Rollgitter hoch, er ließ sich von dem Mann, der hinter dem Tresen die Kaffeemaschine hochfuhr, eine neue Telefonmünze geben und ging hinter die noch ausgeschalteten Flipper, um zu telefonieren.
Grisenti brauchte eine Weile, um zu antworten, wahrscheinlich hatte er noch im Bett gelegen.
»Ich bin’s, Ferro ... Ich weiß, bleib ruhig, ich weiß, dass mich alle suchen, ich weiß doch ... Lass die Bambina aus dem Spiel ... Jetzt lass mich reden, verflucht! Ich komme ins Präsidium, aber ihr müsst auch da sein, du und Cancedda. Ich erzähl euch alles, die ganze Geschichte, nur die Ruhe ... Ja, ich weiß, du musst mich verhaften, schau, ich leg mir selbst die Handschellen um, aber du sorgst dafür, dass ich mit Cancedda reden kann, verstanden? Ihr müsst mich anhören. Um die Bambina mach dir keine Sorgen, der geht es gut, ich habe ihr das Leben gerettet. Nein, ich sage dir nicht, wo sie ist, das sage ich erst, wenn wir uns sehen ... Hol den Richter und geht ins Präsidium, ciao.«
Er hängte ein, dachte, diesmal habe er kein Klicken gehört, aber das hatte nichts zu bedeuten, und ging seinen Kaffee trinken.
»Was wollen Sie«, meinte der Kellner, als er sah, wie Ferro den Mund verzog, »das ist der erste, eigentlich haben wir noch zu.«
Er musste Grisenti Zeit lassen, ins Präsidium zu fahren, außerdem wollte er nachsehen, wie es der Bambina ging, und so fuhr er mit dem ersten frühmorgendlichen Bus zu Sanna. Der Bambina ging es gut, sie schlief aufder OP-Liege, die Infusion im Arm, die Maschine auf der anderen Seite des Betts, wie im Krankenhaus. Statt des blutbefleckten Kittels trug sie einen von Sannas gestreiften Pyjamas. Es sah fast so aus, als hätte ihr Gesicht etwas mehr Farbe.
Der Kaffee aus Sannas Mokka-Maschine war besser als der in der Bar. Ferro wollte ihm erzählen, was passiert war, aber der Arzt unterbrach ihn wortlos, indem er einfach die Hand hob. Ferro nickte, trank seinen Kaffee aus und ging hinaus.
Für die Fahrt ins Präsidium hatte er ein Taxi gerufen und sich an der Straßenecke abholen lassen. Auf der Fahrt quer durch Bologna dachte Ferro, dass er die Stadt um diese Tageszeit immer besonders gemocht hatte. Sie war wie eine Frau, die sich vor dem Aufstehen noch einmal im Bett rekelte, weich und sinnlich. Wenn er nach der Nachtschicht selbst nach Hause fuhr, drehte er jedes Mal eine Extrarunde, um dieses noch feuchte, schimmernde Frühlicht zu genießen, die Geräusche, die unvermittelt lauter wirkten als tagsüber, bevor sie wieder in der von der Nacht noch andauernden Stille verhallten.
Jetzt konnte er den Taxifahrer nicht gut bitten, einmal quer durch die Stadt und zurück zu fahren, an den beiden Geschlechtertürmen vorbei, nur damit er sein Bologna genießen konnte, dazu war keine Zeit, so ließ er ihn in der Via della Zecca umkehren und an der Piazza Roosevelt halten, gerade rechtzeitig, um Grisenti und Mazzucca zu sehen, die mit Richter Cancedda aus
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