Rico, Oskar und der Diebstahlstein
nicht.«
Eins weià ich von Oskar: Lars hat ihn noch nie gehauen. Lars vermeidet es sowieso, ihn anzufassen, was aber vielleicht nur daran liegt, dass Oskar sich von niemandem gern begrabbeln lässt. Festhalten war jetzt jedenfalls nicht drin. Kuscheln in Friedenszeiten aber auch nicht. Für beide nicht.
Oskar war schon halbwegs drauÃen. Erst in der Tür drehte er sich zu mir um. »Kommst du?«
Lars guckte zwischen ihm und mir hin und her. In seinem Gesicht zeichneten sich so viele schnell wechselnde Gefühle ab, dass ich kaum hinterherkam mit dem Beobachten. Das heftigste Gefühl sah aus wie groÃe Verzweiflung. Ich war bloà nicht sicher, ob Lars eher an sich selbst verzweifelte oder eher an Oskar. Er hatte nicht mal loswerden können, warum heute ein besonderer Tag sein sollte.
Ich murmelte eine Entschuldigung, stand schnell auf und ging. Meine frisch bestrichene Nutella-Schrippe lieà ich liegen. Für eine Freundschaft muss man manchmal ein Opfer bringen, auch wenn es einem das Herz zerreiÃt.
Fitzke war kein reicher Mann gewesen. Es hingen keine Ãlbilder an den Wänden, es standen keine Kunstgegenstände oder toll eingebundene Bücher in den Regalen. Es gab auch keine vornehmen antiken Möbel, wie ich das aus der Wohnung vom van Scherten kannte. Es gab nur vergilbte Tapeten, abgelatschtes Parkett und blätternden Lack an den Türrahmen. Zehn Monate waren vergangen, seit Oskar und ich hier gewesen waren, und es sah immer noch alles genauso aus wie in meiner Erinnerung. Staubiger vielleicht, aber womöglich bildete ich mir das nur ein. Wenn einer gestorben ist, denkt man immer irgendwie an Staub, wahrscheinlich, weil wir Staub sind und zum Staub zurückkehren, so wie es der Pfarrer bei Fitzkes Beerdigung gesagt hatte, auch wenn ich mich inzwischen frage, warum es dann Beerdigung und nicht Bestäubung heiÃt.
Ins Wohnzimmer fiel kaum Licht, denn die Gardinen waren vorgezogen. Nichts war zu hören, bis auf das leise Plätschern der fünf Aquarien mit den Wassersteinen drin. Der Wasserpegel in den Becken war ein wenig gesunken, stellte ich fest, da musste man bald mal nachfüllen.
Porsche schnupperte um meine FüÃe herum, so wie er auch schon im Bad, in der Küche und im Schlafzimmer geschnuppert hatte. Wir hatten ihn mitgenommen, als wir im Fünften den Schlüssel holten, es war sowieso bald Gassi-Zeit. Sein Kaffeekringelschwänzchen wackelte so aufgeregt, als suchte er eine Spur. Ich traute ihm sogar zu, eine zu finden und sie erfolgreich zu verfolgen, aber wir würden vermutlich bloà auf dem Luisenstädtischen rauskommen, an Fitzkes frischem Grab. Die ganze Wohnung roch nach altem Mann.
Im Halbdunkel musterten Oskar und ich das fadenscheinige dunkelgrüne Sofa, die zwei Sessel und den niedrigen Tisch, das Bord mit dem dicken Fernseher drauf, den wackeligen Sekretär, die Regale an den Wänden und den hohen alten Wandschrank.
SEKRETÃR
: Gibt es als Möbelstück, auf dem man selber schreiben kann, oder als Mensch, damit man nicht mehr selber schreiben muss. AuÃerdem heiÃt so ein afrikanischer Raubvogel mit einer coolen Frisur, der wie gestochen durch die Gegend rennt, um Beutetiere aufzuscheuchen. Man könnte sich also ein Foto von einem Sekretär von seinem Sekretär auf den Sekretär stellen lassen.
»Was wird denn aus all den Möbeln und dergleichen?«, sagte ich. »Fitzke hatte doch niemanden.«
»Die Wohnung wird entrümpelt.«
»Und die Sachen, die ihm lieb und teuer waren?«
»Was teuer ist, behält der Entrümpler.«
»Wer ist das? Der Mommsen?«
»Nein. Darum kümmert sich die Hausverwaltung. Der Mommsen ist nur von denen eingestellt, um nach dem Rechten zu sehen. Reinigung, kleinere Instandsetzungsarbeiten, so was halt.«
Bei Mommsen hatten wir vor zehn Minuten geklingelt, um ihn zu fragen, ob er unverschämterweise einen Schlüssel zu Fitzkes Wohnung an irgendwen rausgerückt hatte. Aber er war nicht da gewesen, oder er schlief noch.
Ich ging zum Fenster und zog eine Gardine auf. Frühsommerlicht flutete ins Zimmer. Staubkörnchen tanzten und flimmerten golden in der Luft. Oskar und ich standen in einem Ozean aus Steinen. Die meisten lagen paarweise herum. Und nicht nur hier, sondern in der ganzen Wohnung. Steine überall. Angeblich dauerte es ewig, bis sie sich endlich mal vermehrten. Wenn das stimmte, wären es zuletzt so
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