Rico, Oskar und die Tieferschatten
Waschmaschine kaufen, der Geizhals!
Kaum war ich in der Wohnung, ging die Langeweile an derselben Stelle weiter, wo sie aufgehört hatte.
Ich setzte mich in den Nachdenksessel.
Ich blätterte im Lexikon herum und lernte drei neue Wörter.
Ich guckte zum Fenster raus und döste.
Ich vergaß die drei neuen Wörter.
Ich ging in die Küche und trank noch einen Saft.
Ich aß noch ein Müsli.
Ich spülte das Glas und die Müslischale und den Löffel ab.
Mein Blick fiel auf den Mülleimer. Der Beutel darin war voll bis zum Rand — wenigstens etwas! Wenn ich zuerst den Müll im Hof ausleerte und anschließend in mein Tagebuch schrieb, ging der Nachmittag viel schneller vorbei.
Also wieder runter.
Die Müllcontainer stehen im Hinterhof, entlang der Mauer zum Nachbarhaus. An einem der zwei Flügel von der großen Tür zum Hinterhof muss man ordentlich ziehen, weil der seit ein paar Wochen klemmt. Vermutlich Rost oder dergleichen. Der andere Flügel geht sowieso gar nicht erst auf. Der Mommsen sollte das schon längst repariert haben, weil es immer schlimmer wird, aber wahrscheinlich fuselt er stattdessen lieber rum. Sogar die Müllabfuhr hat sich schon beschwert.
Ich zerrte den widerstrebenden Türflügel so weit auf, dass ich gerade so durchpasste mit meinem Müllbeutel, und stolperte dem Mommsen genau in die Arme. Er war mit einem großen Besen und einem kleinen Kehrblech bewaffnet. Ob befuselt oder nicht, dienstags kehrte er den Hof, fiel mir ein.
»Tach, Herr Mommsen«, sagte ich.
Er schwankte ein bisschen und glotzte mich an. »Wer bist du?«
»Rico Doretti. Zweiter Stock.«
»Weiß ich«, sagte er. »Hältst du mich für doof, oder was?«
Mein lieber Schwan!
Anstatt ihm zu antworten, hielt ich ihm die Tür auf, so weit und so gut ich konnte. Er schob sich an mir vorbei und guckte mir dabei genau ins Gesicht. Seine Augen waren so trübe, als hätte jemand Milch reingekippt.
»Sie könnten endlich mal die Tür reparieren«, sagte ich.
»Geh spielen!«, schnappte er.
»Mach ich. Schönen Tag noch!«
»Schön ist anders.«
Hinter ihm knarrte in Zeitlupe die Tür zu. Ich schüttelte kurz den Kopf, dann trat ich an den Container. Ich klappte den schweren schwarzen Deckel hoch und warf den Müllbeutel rein, und da sah ich es: Mitten im dreckigen, miefigen Gewühl lag ein kleines, knallrotes Flugzeug.
Ich guckte hoch, in den Himmel, wie ich es schon bei der Fundnudel getan hatte. Dunkle Wolken zogen auf und schoben sich vor die Sonne. Ganz oben, auf dem Dachgarten der RBs, ließ ein letzter Sonnenstrahl die metallene Brüstung aufblitzen. Ich guckte wieder runter. Es gab nur eine Möglichkeit, wie der kleine Flieger hier gelandet sein konnte: Er musste sich unbemerkt von Oskars Hemd gelöst haben, als der gestern da oben gestanden und rumgewippt hatte, um mir zu beweisen, dass er keine Angst hatte. Der Flieger war in den Hof getrudelt, und jemand hatte ihn aufgehoben und weggeworfen, vermutlich gerade eben der befuselte Mommsen.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und versuchte den Fundflieger aus dem Container zu fischen, ohne mich dabei schmutzig zu machen. Es dauerte eine Weile, aber schließlich erwischte ich ihn und guckte ihn mir an. Kein Dreck dran. Ich tippte gegen die abgebrochene Flügelspitze, dann steckte ich ihn in die Hosentasche und grinste dabei. Oskar würde sich wahnsinnig freuen, wenn ich ihm seinen Anstecker zurückgab! Bestimmt vermisste er ihn schon.
Dann wieder rauf in den Zweiten, wo schon das Tagebuch auf mich wartete. Jetzt freue ich mich auf einen schönen Abend mit Frau Dahling und Müffelchen! Wozu ich natürlich wieder raufmuss und später wieder runter.
Mann, Mann, Mann!
FAST SCHON MITTWOCH
DIE SONDERSENDUNG
Vor etwa zehn Minuten zeigten beide Arme von Mickymaus auf zwölf Es ist also schon nach Mitternacht. Im Hinterhaus hat sich eben ein riesenhafter Tieferschatten bewegt, ich bin mir ganz sicher. Deshalb bin ich jetzt aus meinem Zimmer ins Wohnzimmer umgezogen, in den Nachdenksessel.
Alle Lampen sind an, aber selbst wenn sie aus wären, könnte man durch die Fenster den Mond nicht sehen. Draußen herrscht finstere Nacht. Stürmischer Wind bewegt die Zweige der Bäume, lässt ihre Blätter rascheln und treibt Nieselregen gegen die Scheiben.
Meine Bettdecke habe ich mitgenommen und mir über die Beine gelegt. Ich sitze vor dem Computer und tippe mein Tagebuch. Ich muss sofort aufschreiben, was heute Abend geschehen ist, sonst kann ich garantiert nicht
Weitere Kostenlose Bücher