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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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ich bis zum Abend machen sollte. Ich konnte Blumen gießen bei den RBs, aber falls Oskar doch noch kam, klingelte er womöglich ausgerechnet, wenn ich gerade oben im Fünften war.
    Aber Oskar würde nicht mehr kommen.
    Ich war selber schuld. Ich hätte mir seine Telefonnummer geben lassen oder ihn wenigstens nach seinem Nachnamen fragen sollen, dann hätte ich im Telefonbuch gucken können. Eigentlich wusste ich gar nichts über ihn, nicht mal, wo er wohnte.
    »Selber schuld«, wiederholte ich leise.
    Jetzt musste ich den langen Tag irgendwie allein herumbringen, bis ich abends Frau Dahling besuchen konnte.
    Ich las einen Comic.
    Ich trank Saft.
    Ich lief runter in den Ersten und klingelte bei Berts.
    Mit Berts kann man sich prima unterhalten, aber er war nicht da. Pech gehabt. Falls Oskar inzwischen doch noch gekommen war und geklingelt hatte, sogar doppeltes Pech, aber dann konnte ich jetzt genauso gut noch im Parterre beim alten Mommsen reinschauen. Der erzählt manchmal spannende Geschichten, so wie die mit dem explodierten Fräulein Bonhöfer, und er hat immer Schokolade im Schrank. Aber meistens ist er nur besoffen und fuselt Blödsinn.

    Der Mommsen ist außerdem Witwer mit Übergewicht und er hat auch keine schönen Zähne. Vermutlich putzt er sie nicht ordentlich. Jule hat mal gesagt, er sei ein altes Ferkel, so einen wolle keine Frau haben, also kennt Mommsen sicher auch das graue Gefühl. Wenn es ihn ausgerechnet heute überfallen hatte und, weil es sowieso gerade im Haus war, später auch noch rauf zu Frau Dahling kam, war mir das zu viel. Nach Mamas Regenwolke und meinem eigenen Elefantengefühl hatte ich für heute genug Traurigkeit gehabt.
    Also wieder rauf.
    Das Treppenhaus war wie ausgestorben. Es war fast ein wenig gruselig, wie still es im Haus war. Normalerweise dringt immer Krach aus irgendeiner Wohnung: Bei den Studenten ist die Musik aufgedreht, die Kessler-Zwillinge schreien sich gegenseitig an, aus der Wohnung vom Kiesling kommt klassisches Gedudel. Selbst von ganz oben hört man ab und zu Lärm, wenn der dicke Thorben von den RBs irgendwelche Freunde anschleppt, mit denen er bei voller Lautstärke Playstation spielt. Fitzke hat sich schon hundert Mal beschwert, aber es bringt nichts.
    Heute war Fehlanzeige. Absolute Stille.
    Ich ging zurück in die Wohnung.
    Ich schaltete den Fernseher ein und fünf Minuten später wieder aus.
    Ich steckte meine Schmutzwäsche in die Waschmaschine.
    Ich machte mein Bett.
    Ich setzte mich auf das Bett.
    Langweilig.
    Die ganze Warterei hatte keinen Zweck. Oskar würde nicht mehr kommen. Und wenn er doch noch kam, sollte er mir den Buckel runter rutschen. Der sollte sich mal bloß nicht einbüden, dass ich wegen ihm die Blumen von den RBs verdursten lassen würde!
    Also rauf.
    Bis ich oben war, war meine Wut auf Oskar schon wieder weg. Er konnte ja nichts dafür, dass ich mich langweilte. Er konnte auch nichts dafür, dass unsere Verabredung wie ein Ballon meinen Kopf ausfüllte und kaum was anderes reinpasste.
    Die meisten Pflanzen von den RBs hatten noch ausreichend Wasser, alle übrigen goss ich nach.
    Dann wieder runter.
    Zwischen dem Dritten und Zweiten kam mir der Marrak entgegen, in seinem schicken roten Arbeitsanzug und mit seinem proppevollen Wäschesack. Als Frau Dahling zum ersten Mal gesehen hatte, wie er sich damit abmühte, hatte sie sich an den Kopf gefasst. »Typisch Mann!«, hatte sie gesagt. »Wartet, bis die letzte Unterhose und das letzte Hemd aufgebraucht ist, und die Freundin darf dann Nachtschicht schieben, um dem Herrn die Garderobe wieder in Stand zu setzen!« Da die Freundin sich noch nie in der Dieffe 93 hat blickenlassen, vermuten wir, dass der Marrak keine eigene Waschmaschine hat.
    »Tach, Herr Marrak«, sagte ich und wollte mich an ihm vorbeischieben.
    »Hi Rico.« Er setzte den Wäschesack umständlich ab und nickte mir zu. »Mal wieder unterwegs? Bei wem stöberst du denn heute in der Bude herum?«
    Er meinte es nicht böse. Als ich nach unserem Einzug bei ihm gewesen war, um seine Wohnung anzugucken, hatte er mir sogar eine Cola angeboten. Natürlich hatte Mama ihm zu diesem Zeitpunkt schon längst erzählt, dass ich tiefbegabt bin und mir deshalb so gern andere Wohnungen angucke, weil ich auf der Straße immer geradeaus laufen muss und nicht so viel zu sehen kriege von der Welt. Mama hatte es jedem im Haus erzählt, und mit Ausnahme von Fitzke hatten alle Nachbarn Verständnis gehabt und mich reingelassen, wenn ich bei ihnen

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