Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
es das Genre Film geschafft, in den Köpfen der Schüler die Grenze zwischen Realität und Fiktion zu verwischen.
»Ja, aber das ist doch nur filmische Erfindung. Der Film heißt Flatliners oder so ähnlich, schildert aber kein reales Experiment.«
Und so kamen wir im Religionsunterricht gleich zu Stundenbeginn in eine interessante Diskussion.
Kräftig klopfte es an der Klassenzimmertür. Bevor ich Herein sagen konnte, standen die blonde Kommissarin und zwei männliche Beamte in Uniform im Klassenzimmer. Rektor Saitling begleitete sie.
Der stattliche Rektor schaute betroffen ins Klassenzimmer, mit gedämpfter Stimme, die Hände ineinander verkrampft, sagte er:
»Leider muss Ihnen Frau Kommissarin Krieger eine schlechte Nachricht überbringen.«
Und mir nickte er ernst zu und flüsterte:
»Ich würde Sie gern sprechen, Sie können gleich mitkommen. Die Polizei hat einige Fragen an die Klasse.«
Brav trottete ich neben Saitling her und kam mir winzig vor, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.
»Sie wissen ja schon, dass die Tote … aus dieser Klasse ist. Alexandra. Frau Alexandra Hold.«
»Das hätte doch auch die Kommissarin mir sagen können, sie ist ja sowieso in der Klasse.«
Die Schritte des mächtigen Rektors hallten zackig im verwaisten Gang.
»Es gibt leider noch andere Probleme, Bönle.«
Im Allerheiligsten angekommen setzte sich Saitling in seinen thronähnlichen, neuen, luftgefederten Ledersessel. Er zupfte die rote Fliege an seinem Hals zurecht und als er sich in eine souverän autoritäre Position manövrieren wollte, erzeugte die Reibung zwischen seiner Hose und dem neuen Leder ein unanständiges Geräusch. Mit einem raschen Huster versuchte er davon abzulenken, besann sich aber sofort eines Besseren und rieb sein Gesäß absichtlich unabsichtlich am Leder, um das Geräusch zu provozieren und mir zu signalisieren, dass es kein flatulierendes Geräusch war, sondern ein Leder-Hosen-Reib-Geräusch.
Mir war es ziemlich egal, was für Geräusche sein Gesäß und der Sessel konzertant produzierten. Ich wartete auf die Geräusche aus seinem Mund.
Mit einer nonchalanten Handbewegung nötigte er mich, auf einem hölzernen Klassenzimmerstuhl Platz zu nehmen.
»Ja, wie soll ich anfangen? Gehen wir doch gleich Medium in aah, Räs, es gibt …«
An und für sich bin ich ein höflicher Mensch, aber wenn die edle lateinische Sprache verhunzt wird, geht mir das Messer im Sack auf. Saitling, Techniker mit Herz und Seele, war der lateinischen Sprache nicht mächtig, benutzte sie jedoch zu gegebenem Anlass, um mit dieser toten Sprache seinem Anliegen einen globalen, gar universalen Anstrich zu verleihen. Eigentlich ist mir so was ziemlich egal, trotzdem rutschte mir lehrerbesserwisserisch heraus:
»Ähmmm, in medias res oder auch medias in res, Herr Sai…«
»Ich brauche keine Belehrungen von Ihnen.«
»Entschuldigung, das war nicht so gemeint.«
»Ja, um gleich zur Sache zu kommen, es gibt Beschwerden über Sie!«
»Gleich mehrere?«
»Aaah, nein! Warum?«
»Sie sagten Beschwerden. Das ist eine Pluralform und bezeichnet nicht nur eine oder eins …«
»Ich weiß, was ein Plural ist, und außerdem geht es Sie nichts an, wie viel gegen Sie vorliegt, sondern was gegen Sie vorliegt, Bönle.«
Bedrohlich neigte sich der Rektor samt Lederthron nach vorn. Zischend sog er Luft ein, seine Körperoberfläche verdoppelte sich. Noch weiter neigte er sich zu mir. Und wieder entstand ein diskreditierliches Geräusch.
Ich genoss die peinliche Stille:
»Was liegt denn gegen mich vor?«
»Eine Beschwerde, wie ich schon erwähnte.«
»Von wem?«
»Das geht Sie nichts an.«
Ich erhob mich aus dem hölzernen, unterdimensionierten, antiken Klassenzimmerstuhl vor seinem ausladenden Schreibtisch, wippte mich auf die Zehenspitzen und meinte:
»Dann kann ich ja wieder gehen.«
»Sie können gar nichts! Setzen!«
»Danke.«
»Werden Sie jetzt nicht unhöflich.«
»Danke ist nicht unhöflich, unhöflich wäre …«
»Jetzt reichts, wollen Sie eigentlich nicht wissen, was gegen Sie vorliegt?«
»Sie haben es doch schon gesagt – eine Beschwerde.«
»Wollen Sie nicht wissen, welcher Art und Weise die Beschwerde ist?«
»Nein.«
»Neiiin?«
»Ja.«
»Was jetzt? Nein oder Ja?«
»Ja, ich will es nicht wissen.«
Ich erhob mich langsam.
»Setzen Sie sich sooofort hin, Herr Bönle. Ich will aber, dass Sie es wissen, äh, denn Sie müssen es wissen, um Ihr Fehlverhalten
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