Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
Eigentlich wollte sie eine begehrenswerte Frau sein, so wie die aus der rosaroten Wellnesswerbung. Und sie wollte genau so leicht, slimlinig, auf niederkalorischen Frischkäsemitkräuterwölkchen in figurbetonten Fitnessanzügen durch eine Light-Welt joggen. Sie wollte zart und schlank sein, softfilterig, pickelfrei und querflötenleichte Musik sollte sie den ganzen Tag wie luftgeschlagener Magerquark mit Schnittlauch umgeben. Aber anstatt beschwingter, schlanker Querflötenklänge kamen die Depressionen, lautlos und korpulent, wie Eulen in der Nacht.
Claus-Dieter aus Unterwalchhausen hatte ein Problem. Er hatte vier Kinder und keine Frau, die war ihm auf die Sekunde genau mit Eintritt der Menopause davongelaufen. Als Schreiner kam er kaum über die Runden, und das Bier machte doch jeden Abend alles wieder runder. Dann gab es immer häufiger Streit mit den Kindern, irgendwann stand das Jugendamt vor der Tür und es wurde ihm alles zu viel. Seine ehemals helle, heitere Zimmermannsseele wurde immer schattenfleckiger, sein Magen immer wunder. Eines Tages öffnete er bei einem Richtfest auf dem Dachfirst, neben dem Tannenbäumchen mit den bunten Fähnchen schwankend, den Hosenlatz seiner schwarzen Breitcord-Zimmermannshose und urinierte auf die Festgesellschaft, die unter ihm stand.
Meike und Claus-Dieter lernten sich in der Psycho, in der psychosomatischen Klinik in Bad Saulgau kennen. Es war so etwas wie Topf und Deckel oder Scheiße und Fliegen, sie mochten sich.
Dreimal in der Woche gingen sie nach dem Mittagessen der nordisch-walkenden Sportart nach. Nicht, dass sie mit den anderen Psychosomatisierenden walkten. Nein, Claus-Dieter hatte sein Auto mit zur Kur genommen und mit dem fuhren sie zum beschaulichen Skistockwandern ins Pfrunger-Burgweiler Ried. Claus Dieter hatte da so Nebenintentionen. Ihm gefiel die dralle Meike mit ihrem feisten Hintern in der blauen Trainingshose so gut, dass er sie schon beim zweiten Nordischen gegen eine zarte Birke lehnte und sie, wie er anschließend genießerisch reflektierte, kräftig durchvögelte. Es war den Turtelnden ein lieb gewonnenes Ritual geworden, das Ried nicht nur zu durchwalken, sondern es auch stoßend zu entdecken.
Auch heute hatte sich Meike wieder weit vornüber gebeugt, an einer jungen Birke mit beiden Händen fest gehalten. Das Laub der erstaunten Birke, durch rhythmische Stöße animiert, fiel wie güldenes Himmelskonfetti auf die Liebenden herunter.
Die Blase der beglückten Meike war nach dem leidenschaftlichen wie sportlichen Mittagsimpuls gereizt. Sie schlug sich durch kratzende Hagebuttenbüsche, deren Früchte eichelrot leuchteten, und begab sich in die weibliche Position des Wasserabschlagens. Immer noch überwältigt von der Kraft des claus-dieterschen Gemächtes blickte sie in die beiden dunklen, kleinen Höhlen, die vor ihr lagen. Mit einem Steckelchen schob sie ein paar goldbraune Herbstblätter zur Seite und entfernte dünne Ästchen. Aus dem Laub grinste es ihr zahnlückig entgegen.
Meike schrie hysterisch auf, so wie sie es in den vielen Fernsehserien gelernt hatte, in denen die Frauen als Zweitwagen rote Ferraris fuhren und brusthaarlose Männer in blumigen Bermuda-Shirts in ihrer Freizeit blaue Swimmingpools reinigten:
»Oh mein Gott! Claus-Dieter, komm schnell, oh mein Gooott!«
Claus-Dieter kam herbeigestürzt, zerkratzte sich, durch die Büsche rudernd, Hände und Gesicht. Er kam noch rechtzeitig, der Schädel hatte sich nicht fortbewegt.
Es wirkte irgendwie bizarr. Meike schob sich die blaue Trainingshose wieder über ihr stattliches, bleiches Gesäß. Ihr gegenüber stand der verdutzte Claus-Dieter, dessen rote Gymnastikhose immer noch beachtlich ausgebeult war, und von unten grinste ein Totenschädel zu den beiden hoch. Das pralle, wild wolllüstige, stöhnende Leben und der knochige, grinsende Tod hatten sich rein zufällig an diesem sonnigen, frühen Nachmittag im Ried Guten Tag gesagt.
16 Schädelbetrachtungen
Das zweite Buch der Könige
9:35 Doch als sie hinkamen, um sie zu begraben, fanden sie von ihr nur noch den Schädel…
Sie wurde aus ihrem wattigen Halbschlaf geweckt, der sie in Sicherheit wiegte. Diesmal waren keine bösen Träume, der Halbschlaf brachte nur dunkle, traumlose Leere. Alarmiert durch die Geräusche sprang sie von ihrem einfachen Lager der verlassenen Holzarbeiterhütte auf. Gott sei Dank hatte sie kein Feuer im kleinen Bullerofen gemacht, sie packte mit flinken, geübten Bewegungen die Spuren
Weitere Kostenlose Bücher