Riemenschneider
können. Er hat am Haus des Malers Lucas Cranach gepocht, den Messingklopfer heftig bedient und den überraschten väterlichen Freund auf die Gasse gezogen. »Bitte verzeih, doch geh mit mir einige Schritte!«
Erst außerhalb des Stadttores berichtet der junge Theologieprofessor von seiner Nacht in der Turmstube. » … demnach gibt es also keine guten Werke, die zu Gott führen, auch keinen Ablass.« Er schüttelt sich, pocht gegen seine Brust. »Wie habe ich mir die Knie zerschunden. Damals während meiner Romreise kaufte ich einen Ablassbrief, kroch betend die heiligen Stufen hinauf. Achtundzwanzig Stufen und vierzig Ave-Maria auf jeder Stufe, und dies nur, um für Großvater Hein das Seelenheil zu erwerben. Zweifel an der Wirksamkeit beschlichen mich damals schon, jetzt aber weiß ich, die Kirche kann und darf sich nicht zum Vermittler der Gnade Gottes erheben.«
Lucas Cranach unterbricht nicht, aufmerksam hört er die neuen Erkenntnisse, hin und wieder blickt er Martin von der Seite an.
»Du ahnst nicht, lieber Freund, mit welcher Inbrunst ich gestern noch das Wort ›Gerechtigkeit Gottes‹ hasste. Und heute …« Martin breitet die Arme weit. »Umarmen, ja, könnte ich die Heilige Schrift umarmen, so würde ich es tun. Dieses Wort ist mir nun das Liebste geworden. Und die Stelle bei Paulus ist meine Pforte zum Paradies.«
Der Maler bleibt stehen, sieht eine Weile der rasch strömenden Elbe zu, dann richtet er den Blick offen auf den Freund, bekümmerte Heiterkeit schwingt in der Stimme. »Damals bist du vor dem Gewitter ins Kloster geflohen. Doch jetzt fürchte ich beinah, nein, ich glaube, du hast das Unwetter mit hineingenommen.«
Martin lacht, deutet zum Himmel. »Aber, Lucas, sieh hinauf! Es ist doch ein heller, durchsichtiger Tag heute.«
20
D ie Weinlese an den Südhängen des Mainufers hatte begonnen. Würzburg war von einem Tag zum anderen wacher geworden. Früher als sonst belebten sich die Straßen, häufiger richteten die Menschen einen besorgten Blick zum Himmel. Jeder ahnte, wie mager in diesem Herbst die Ernte sein würde. Selbst wer keinen Weinberg besaß, wer nicht mit der Kiepe auf dem Rücken von Rebstock zu Rebstock ging, schickte ein stilles Gebet zu den Stadtpatronen Kilian, Kolonat und Totnan: Kein Regen mehr, gutes Wetter … endlich gutes Wetter, kein fußschwerer, rutschiger Boden, die wenigen Trauben sollten trocken und rasch die Keltereien erreichen.
In der Franziskanergasse, oben im Nähzimmer des Wolfmannsziechleins, summte Magdalena vor sich hin. Als spätnachmittags die Sonnenstrahlen hereinfielen, hatte sie den Tisch unter das geöffnete Fenster gerückt und dort weiter am Saum der zweiten Vorhanghälfte genäht. Noch eine Handbreite, dann war es geschafft. Ihre Finger schmerzten; nur mit Kraft ließ sich die Nadel von unten durch den schweren, dicht gewebten Wollstoff stechen, und gefühlvoll musste der Faden durchgezogen werden. Erst dreimal war er Magdalena gerissen, und sie hatte neu eingefädelt und etwas nach hinten versetzt wieder begonnen. »Ist ja kein Wandteppich …« Mit vorgeschobener Unterlippe blies sie eine störende Haarsträhne beiseite. »Aber als Windfang im Flur zum Hof ist er mir fast schon zu schade.«
Hinter ihr öffnete sich die Tür. »Bist du endlich so weit?« Das Schloss schnappte zu. »Oder willst du dich vor der Arbeit drücken?«
Diese Stimme. Kurz schloss Magdalena die Augen, diese Stimme, nie wirklich laut, doch sie schnitt wie ein scharfes Messer.
»Antworte gefälligst!«
»In bin gleich fertig, Herrin. Der Stoff lässt sich schlecht nähen, deshalb hat es gedauert.«
Frau Margarethe stand neben ihr und nahm den Vorhang in die Hand. »Nun steh schon auf.« Dem Mund entströmte galliger Atem. »Siehst du nicht, dass ich Platz brauche?«
Gerade noch gelang es Magdalena, die Nadel mit dem Faden festzustecken, als die Herrin sie beiseitedrängte und den Stoff glatt auf dem Tisch ausbreitete. »Reich mir die andere Hälfte.« Oberkante auf Oberkante, Margarethe zog die aufeinandergelegten Längsseiten zwischen Zeigefinger und Daumen hinunter bis zum Saum, kurz vor Ende versteifte sie den Rücken, begann wieder von oben, diesmal beendete sie die Probe und behielt eine Hälfte zwischen den Fingern. »Zu lang.« Kaum öffneten sich die schmalen Lippen. »Dieses Teil ist entweder zu lang oder das andere ist zu kurz.«
Magdalena nickte. »Es tut mir leid. Ich werde einen Saum …«
»Habe ich dir nicht befohlen, genau zu messen?«
Gleich schlug das
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