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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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die Werkbank wie einen Holzklotz, dachte sie. Dann kann sie spüren, wie das ist. »Verflucht! Ich bin eine erwachsene Frau. Und diese Hexe hat mich gekniffen.«
Die Straße vom Dom hinunter in Richtung Rathaus und Brücke war immer noch halb aufgerissen. »Das dauert auch schon eine Ewigkeit.« Magdalena schüttelte den Kopf, als sie über Bretter zur neu gepflasterten Seite hinüberging.
So stolz hatte ihr Meister Til vor einigen Monaten von einer Sitzung im Oberrat erzählt. »Ich habe es geschafft. Bald gibt es keine Pfützen mehr auf der Domstraße. Ich habe einige Freunde überzeugt, und mit einer guten Mehrheit ist der Beschluss durchgekommen. Die Straße bis hinauf zu den Domstufen wird erneuert.«
Seit der Bildschnitzer nicht mehr allein dem Stadtrat angehörte, sondern auch in den Oberrat berufen war und mit Dom- und Stiftsherren an einem Tisch saß, seitdem versuchte sich Tilman Riemenschneider hin und wieder im politischen Ränkespiel und war selbst höchst erstaunt, wenn er einen Erfolg erzielen konnte.
Magdalena hatte den Dom erreicht und blickte auf die Baustelle zurück. »Nur hätten sie besser einen Pflasterer von hier damit beauftragt und nicht einen extra aus Heilbronn kommen lassen. Dieser Faulpelz lässt sich doch mit Absicht Zeit …« Sie unterbrach und pochte sich mit dem Finger gegen die Stirn: Hör auf damit. Wenn du von jedem schlecht denkst, geht nachher gleich die ganze Welt unter.
Die Wächter vor dem Kapitelhaus grinsten ihr entgegen. Das ist keine Frechheit, übte sich Magdalena in Gelassenheit, die beiden wollen nur freundlich zu dir sein. Nur freundlich. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ist die Sitzung vom Oberrat schon zu Ende?«
Nein, sie dauert noch an. Ja, Meister Til sitzt noch mit den andern oben im Saal. Wird so in einer Stunde zu Ende sein. Einer der Posten vollführte mit gestrecktem Daumen und eingerollten Fingern die unmissverständliche Trinkgeste zum Mund. »Spätestens beim Abendläuten haben die Herren Durst. Dann geht’s rüber zum Grünen Baum.« Und der andere schloss sich mit dem Rat an: »Aber du musst dich bereithalten, sonst erwischst du keinen von denen. Da wehen die Mäntel, so schnell, wie die laufen.«
Die Vorstellung erheiterte, und sie gab einen Scherz zurück: »Na, wenn ich meinen Rock etwas hochziehe, dann werde ich die alten Männer sicher einholen.«
»Zeig es uns jetzt schon mal, schöne Frau!«
»Genug.« Magdalena drohte den beiden mit dem Finger. »Ich komme nachher wieder.« Sie wandte sich ab und ging, ohne es zu planen, in Richtung Marienkapelle. Als sie den Judenplatz überquerte, straffte sie das Kittelkleid und spürte wieder die wehen Stellen am Busen. Magdalena sah zur Eva auf. »So richtig gut geht’s mir heute nicht. Dir schon, deine Haut ist immer noch hell und glatt. Ich glaub, meine hat diese Hexe ziemlich ruiniert.« Magdalena schickte einen Seufzer zum Abschied hinauf und schlenderte durch die winkeligen Gassen zur Mainbrücke hinunter.
Stimmen, Gelächter und Rufen. Die Häcker kehrten von den gegenüberliegenden Weinhängen zurück, müde vom Bücken und Tragen, doch in freudiger Erwartung des Feierabends. Am diesseitigen Ende der Brücke drängten sich die Leute vor dem Zollhaus. Jeder Fremde und Nichtbürger musste seinen Pfennig bezahlen, und konnte er nicht, begann das Gezänk mit dem Zöllner, schnell wuchs es zu üblen Beschimpfungen an, meist aber blieb Hans Stor der Sieger. Kaum einer in der Stadt pöbelte so laut wie er, und seine Frau unterstützte ihn dabei aus voller Kehle. Zähneknirschend aber musste das Zöllnerpaar einige Häcker ungeschoren passieren lassen, weil nicht geklärt werden konnte, ob die Trauben in den hoch beladenen Kiepen wirklich zum Eigenbedarf oder doch für den Verkauf bestimmt waren.
Magdalena sah dem Treiben zu, doch mit einem Mal wurde ihr Blick von etwas angezogen. Rechts am Brückenaufgang. Der dunkle Lockenkopf … Das blaue Wams hatte sie genäht, aber für feiertags und nicht für einen gewöhnlichen Mittwoch wie heute. Florian, was tust du hier? Und neben ihm? Katharina, den Kopf an seine Seite geschmiegt. »Aber Mädchen? Mit deinen achtzehn Jahren darfst du dich nicht so zeigen. Schon gar nicht vor allen Leuten«, flüsterte Magdalena und wünschte, dass ihre Ermahnung gehört würde. »Du bist die Tochter des Stadtrates Riemenschneider. Sollst eine gute Partie werden. Vergiss das nicht.« Wenigstens trug sie ihren Alltagskittel. Was aber hatten die grellbunten Stoffschleifen in

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