Riemenschneider
Aufruhr gegen den Herrn zu wagen. Und nach all dem erlittenen Elend hat sich keiner geweigert, und endlich durften sie heimgehen.«
»Vorbei.« Jetzt erst bemerkte Til, wie er beide Fäuste auf den Knien geballt hatte. »Unfasslich, mit welcher Willkür, welch einer erbarmungslosen Selbstherrlichkeit dieser Herzog Ulrich gegen sein Volk vorgeht.«
»Verzeiht Meister, wenn es nur das wäre.« Peter senkte den Kopf, sprach nun leise und oft rang er um Fassung. Die gefangenen Hauptleute des Armen Konrad waren vier Tage gefoltert worden. Verwundet, halb erblindet, die Arme gebrochen, so wurden sie auf den Marktplatz vor ihre Richter geführt. Kurz nur dauerte der Prozess. »Dann kam die Bestrafung. Glück hatte, wem gleich der Kopf abgehauen wurde …« Peter hatte mit ansehen müssen, wie ein Verurteilter aufs Rad geflochten wurde und ihm der Henker Arme und Beine abtrennte. »An allen vier Stellen ist das Blut rausgespritzt. Und geschrien hat er lange.« Einige waren nicht zum Tod verurteilt worden. »Das war aber für keinen ein Glück.« Ehe sie freikamen, hatten Henkersknechte sie gepeinigt. »Erst ausgepeitscht. Und dann haben sie die glühenden Eisen genommen. Tiefe Löcher haben sie ihnen in die Brust gebrannt …«
»Nein …«, keuchte Rupert unterdrückt, Schweiß lief ihm in Strömen von der Stirn. »Diese Teufel …«
Magdalena sprang auf. »Genug!« Sie war bei ihrem Mann, wollte schützen, beruhigen, sah die erstaunten Gesichter der Gesellen, und so legte sie Rupert beide Hände nur fest auf die Schulter. »Nicht weitererzählen«, bat sie den Wandergesellen. »Was du gesehen hast, das hat er selbst erlebt.« Sie suchte den Blick des Meisters. »Und auch ich kenne das … Weil so was nicht nur da in Stuttgart geschieht. Sondern …«
»Ja, damit soll es genug sein.« Endlich begriff Til, der Bericht hatte ihn so mitgenommen, dass ihm ein Vergleich mit dem Leben der Bauern rund um Würzburg nicht in den Sinn gekommen war. Er rieb mit dem Handrücken über die Stirn. »Wir danken dir, Peter. Mehr weiß ich jetzt auch nicht zu sagen. Diese Bilder …« Til sah zu Magdalena auf, dann in die Runde. »Das Leben ist gut unter unserm Dach. Wenn wir uns daran jeden Tag erinnern, können wir das Schreckliche dort draußen von uns fernhalten.«
Beim ersten Morgenlicht verließ der Meister, ohne Margarethe zu wecken, die Schlafstube. Im Haus war es noch still. Auf dem Weg über den Hof blickte er nach oben. Ein klarer, offener Himmel. In der Werkstatt legte Tobias gerade das große Holzkreuz über zwei zusammengeschobene Werkbänke. Nur ein Nicken als Morgengruß. Neben dem Kamin hob Til den Christus aus der geräumigen Kiste voller Sägespäne. »Die Nacht ist vorbei«, murmelte er ihm zu, als wollte er sich entschuldigen, und trug die Figur zu Tobias hinüber. Das Bohren der Löcher, das Setzen der Nägel fiel ihm bei jedem Kruzifixus aufs Neue schwer. Allein der langjährige Geselle wusste von seiner Scheu, irgendwann hatte er das Zögern beobachtet. »Was ist Meister? Fühlt Ihr Euch nicht gut?«
»In Wahrheit ist es nichts.« Ein langer Blick auf das Werkzeug in seinen Händen. »Da habe ich ihn aus dem Baum geschält. Und er war gleich schon geschunden. Sein Leiden … weißt du, während ich den Kruzifixus schnitze, sehe ich immer vor mir, was sie ihm angetan haben. Ich spüre auch, wie es in ihm kämpft. Leicht war es bestimmt nicht für ihn, auch nicht als Gottessohn, aber er ist stark. So zeige ich den Erlöser. Und dann bin ausgerechnet ich es, der ihn ans Kreuz nagelt.«
Tobias hatte den Kopf gesenkt, hatte mit der Fußspitze einige Holzlocken aufgehäufelt. »Wenn Ihr wollt, Meister …« Seine Stimme war ernst und leise. »Wir können uns fürs Anschlagen allein in der Werkstatt treffen. Und ich helfe Euch, halte Euch den Christus.«
Dabei war es all die Jahre geblieben. Ohne viele Worte hatten sich die beiden auch am Vortag nach dem Bericht des neuen Gesellen für heute in der Frühe verabredet. Til legte die Figur mit dem Antlitz nach unten neben dem Kreuz ab und markierte eine Stelle auf dem Rücken. »Hier, in Höhe der Brustwunde, setzen wir noch eine Öffnung.« Auf den fragenden Blick antwortete er nur: »Ich muss ihm noch etwas mitgeben.« Er kerbte mit dem Stechbeitel vor, und als Tobias den Spindelbohrer absetzte, nahm der Meister eine kleine Bleikassette aus der Tasche. »Drinnen ist ein Span vom wahren Kreuz und eine Reliquie von der Heiligen Wallburga. Die Steinacher wollen es so haben.«
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