Riemenschneider
weiter. »So ein grausames Schießen hab ich mein Lebtag noch nicht erlebt. Und Franz konnte nichts ausrichten. Nicht einmal den Männern Mut zusprechen konnte er, weil er doch wegen der Gicht im Fuß nicht laufen konnte. Aber dann …« Den Reichsritter hatte es nicht länger im Schlafgemach gehalten. Draußen schien die Welt zu bersten, und er wollte sich wenigstens seinen Leuten zeigen, außerdem musste er die Schäden besichtigen. »Ich hab ihn bis an die Brustwehr geführt. Der Büchsenmeister zeigt ihm gerade die großen Löcher in der Mauer. Da pfeift eine Kugel über uns weg und kracht in den Verhau hinter uns. Holz und Steine wirbeln hoch …« Der Bote schweigt und reibt die Fingerknöchel an den Zähnen, versucht die Fassung zu bewahren.
Weil Götz den inneren Kampf mitfühlt, nässen sich seine Wangen. »Und da …?«
»Nein, noch nicht. Ein Stein hatte mich im Nacken getroffen, und ich bin niedergestürzt. Als ich … als ich wach wurde, lag Franz neben mir. Kein Laut, nur gestöhnt hat er. Ein gesplitterter Balken hat ihm die rechte Seite aufgeschlitzt. Wie ein Hieb mit dem Schlachterbeil. Die Rippen offen und die Leber … Seine Eingeweide konnte ich sehen.« Arnim sinkt auf die Bank nahe dem Narzissenbeet. »Wir haben ihn in sein Schlafgemach getragen. Der Bader war gerade dabei, Tücher um den Leib zu schlingen, da beschoss der Feind den Palas, um ein Haar hätte eine Kugel das Fenster seines Zimmers getroffen.« Die Einschläge kamen dichter und dichter, sodass der Verwundete die Faust ballte. »Sie nehmen mich als Zielscheibe«, und setzte mit bitterem Lachen hinzu: »Seht auf dem Turm nach. Nicht dass dort einer von den Unsern Zeichen gibt, wo ich liege.«
Götz bedeckt seinen nackten Armstumpf mit Küssen. »Der Tapfere, er konnte noch scherzen. Aber du hättest auch mich lachen hören können, als mir vor Landshut damals die Hand von einer dieser verdammten Hakenbüchsen abgefetzt wurde. Ja, Ritter sind wir nun mal und keine Memmen.«
Überhastet kommt Knappe Thoma in den Garten, unter dem Arm trägt er das Lederbündel mit der Prothese, beim Anblick der Herren verlangsamt er den Schritt und dienert: »Verzeiht, Herr, die Eisenhand war unten in der Rüstkammer …«
»Schon gut, ich benötige sie doch nicht. Junker von Schwertlein stattet keinen offiziellen Besuch ab. Als Freund bringt er mir schlechte Nachricht von meinem liebsten Freund.«
»Herr, ich wusste gar nicht, dass Ihr einen Freund … Verzeiht, darf ich fragen …«
»Der Franz, mein Franz …« Mit gewichtigem Fingerzeig bannt Götz seinen Knappen auf dem Kiesweg: »Rühr dich nicht und hör zu. Franz ist schon verwundet«, den Gast bittet er: »Weiter. Draußen donnern die Geschütze …«
»Es war zu gefährlich. Wir mussten den Ritter hinunter in den Felsenkeller schaffen. Und dort lag er bei Kerzenschimmer …« Der Ritter klagte nicht, stündlich ließ er sich von seinen Hauptleuten über den Zustand seiner Festung berichten; und von Stunde zu Stunde zerfiel Burg Landstuhl mehr in Trümmer. Als stärkende Labsal musste Junker Schwertlein ihm immer wieder seinen Wahlspruch hersagen: »Allein Gott die Ehre – Lieb den gemeinen Nutz – Beschirm die Gerechtigkeit.« Nach vier Tagen wusste Franz von Sickingen, der Gevatter Tod hockte schon am Fußende des Lagers, und draußen hatte der Feind die Burg sturmreif geschossen.
»Er dachte nur noch an seine Leute, wollte sie vor dem Untergang retten …«
»Was sagst du?« Götz stöhnt auf. »Dieser Edelmut. Er hat nicht befohlen, bis zum letzten Mann zu kämpfen?« Nach kurzem Besinnen erhält Thoma einen ermahnenden Blick seines Herrn. »Das ist Größe, merk es dir. Weil ein Ritter nun mal seine Leute liebt wie ein Vater.«
Arnim von Schwertlein pflichtet dem Gastgeber bei: »Franz hat mich immer gut behandelt.«
Da sich Thoma außerhalb der Gefahrenzone aufhält, wagt er zu bemerken: »So viel Glück wird nicht jedem Diener zuteil.«
»Schweig!« Götz droht ihm mit der Faust. »Du undankbarer Wicht. Wenn mich die Trauer nicht lähmen würde, dann würde ich … Nein, nicht jetzt. Ich will von der letzten Stunde meines Freundes hören. Was hat Franz mir ausrichten lassen? Nun sag es schon!«
Arnim richtet sich erschrocken auf. Der erwartungsvolle Blick seines Gastgebers lässt ihn vorsichtig werden. »Er … er wollte dir etwas bestellen, das habe ich genau gespürt, aber die Schwäche … Unsere Kapitulation war am 6. Mai, und gleich am nächsten Morgen sind doch die drei Fürsten
Weitere Kostenlose Bücher