Riemenschneider
das Blatt zur Tür, draußen wartete der Vorsteher seiner Schreibstube, ein kurzes Geflüster, und der Sekretär kehrte ans Pult zurück.
Der Hohe Herr wartete nicht, bis das neue Blatt bereitlag. »An die Stadt. Abschriften gehen an meine Beamten, an die Schultheißen, Bürgermeister und den Rat …« Die Stimme brach ab, gleichzeitig schwoll die Ader auf der Stirn. »Was erlaubst du dir? Ich denke angestrengt, versuche unser Stift vor der drohenden Gefahr zu bewahren und du … du.«
»Bitte um Nachsicht, Herr.« Lorenz Fries legte sorgsam das kleine Messer zurück auf seinen Platz neben dem Tintenfass. »Es war notwendig, eine neue Feder anzuspitzen.«
Die Ruhe seines Vertrauten ernüchterte den Hohen Herrn. Ausatmend ließ er die Schultern sinken. »Der Aufruhr zerrt an mir, lässt mich ungerecht werden. Ich weiß, du arbeitest umsichtig und gut.« Er stellte sich ans Fenster und blickte auf die Stadt hinunter. »Entwirf das Schreiben selbst. Versichere sie meiner Gnade, und sag ihnen, sie sollten sich der großen Gefahr bewusst sein, die sich zusammenbraut und uns alle bedroht.« Von diesem Tag an mussten alle Tore bei Tag und Nacht schärfer bewacht, schadhafte Riegel, Schranken und Gräben ausgebessert werden. Außerdem verlangte der Hohe Herr, dass die Bürger ihre Waffen und den Kriegsrock bereithalten sollten.
»Und neben diesem Schreiben lässt du meinen Beamten noch eine gesonderte Nachricht zukommen. Ich verlange von ihnen, dass sie jeden Ansatz von Meuterei sofort ersticken. Vor allem darf keiner dieser aufständischen Bauern in der Stadt für die Sache werben. Und wenn doch, muss er verhaftet werden.« Bischof Konrad griff nach dem unsichtbaren Gegner, packte ihn an der Kehle und sah der Faust zu, bis die Knöchel weiß wurden.
Schon von Weitem entdeckte Katharina das verschlossene Stadttor. »Kann doch nicht sein«, flüsterte sie. Heute war der erste Montag im April. Nur am Feiertag oder sonntags blieb das Tor länger verschlossen. »So früh bin ich nicht los. Und sehr beeilen konnte ich mich nicht.« Ein Blick zum Himmel, die Wolkendecke war zu dicht, ohne Sonne vermochte sie die Uhrzeit nicht zu schätzen. »Aber es muss bald Mittag sein.« Katharina verspürte wieder Übelkeit aufsteigen, nicht bedrohlich, doch schmeckte sie das Bittere auf der Zunge, sie atmete tief und strich mit der freien Hand den Leib gleich unter ihren Brüsten. »Ich hoffe nur, dass die Nachbarin von Tante Els recht hat und der Brechreiz nicht über die ganzen Monate bleibt.«
Nur noch dreißig Schritt war die junge Frau entfernt, da schwangen wie von Geisterhand beide Flügel des Pleicher Tors weit auf, fuhren wieder zusammen, um sich gleich wieder zu öffnen. Ungläubig blieb sie mitten auf dem Fahrweg stehen.
Ein Wachposten erschien, sein Spieß blinkte, er trug nicht wie gewöhnlich das Wollwams, sondern den Lederkoller. »Was trödelst du?« Herrisch winkte er. »So nah am Tor darf sich keiner mehr rumtreiben. Komm rein oder verschwinde!«
»Verzeih … Ich wusste ja nicht.« Katharina drückte sich an ihm vorbei. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie einige der Wächter, wie sie Angeln und Scharniere mit Fett einschmierten. Erst nachdem das Torhaus ein gutes Stück hinter ihr lag, wagte Katharina einen Blick über die Schulter. Wieder schwangen die Flügel auf und zu.
»Herrgott. Pass auf, wo du gehst!« Zu spät, ihre Schulter stieß gegen einen Brustharnisch, der Korb glitt ihr vom Arm, sie wandte den Kopf, sah in ein zorniges Gesicht und wich erschrocken zur Seite. Ohne stehenzubleiben, schritten zwei bewaffnete Bürger an ihr vorbei. »So ein blöder Landtrampel«, sagte der eine, und der andere pflichtete ihm mit bösem Lachen bei, gleichzeitig trat er den Korb tief in den Durchstieg zwischen zwei Häusern.
»Warum tust du das?«, rief ihm Katharina nach, doch die Kerle scherten sich nicht drum. Vorsichtig tastete sie sich in die dunkle, nach Urin und Kot stinkende Enge, gleich stieg wieder der Ekel, sie musste umkehren und lehnte sich draußen mit dem Rücken an die Hauswand.
»Bist du krank?« Ein kleiner Junge war vor ihr stehen geblieben, über der Schulter einen angespitzten Stecken, das Gesicht verdreckt, die Nase lief, seine Augen blickten besorgt.
»Nein, nicht richtig. Mir ist nur einen Moment schlecht geworden.« Katharina atmete tief ein und aus. »Nun geht es schon etwas besser. Sag, warum trägst du diesen gefährlichen Stock?«
»Das ist mein Spieß. Weil ich Würzburg vor dem Feind beschützen
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