Riemenschneider
kann schreiben, merk dir das. So ein Nichtstuer ist der Bermeter nämlich nicht. Warte nur, eines Tages werd ich es allen beweisen.«
Möglichst wenig durch die Nase atmen. Tilman Riemenschneider hielt die Lippen leicht geöffnet. Dem Pelzkragen seines Festtagsmantels entstieg der Geruch nach modrigem Pulver aus gestoßenem Rosmarin, Salbei, Thymian und Melisse; so lange hatte er den Schultermantel nicht mehr getragen, und seit dem Entschluss, ihn anzuziehen, war nicht genügend Zeit gewesen, den Pelz zu lüften, damit das Schutzmittel gegen Flöhe und Läuse sich hätte verflüchtigen können.
Langsam, beinah bedächtig, schritt er den Flur im Gerichtsgebäude des Domkapitels entlang, und doch musste Frau Anna an seinem Arm eilig trippeln, um Schritt zu halten. Rechts und links von ihnen standen Freunde, Mitglieder des Stadtrates und geladene Vertreter der Bürgerschaft im Spalier. Til spürte die vielen Blicke, unbehagliche Wärme stieg vom Rücken ins Nackenhaar bis unter das Samtbarett. Wäre die Zeremonie doch schon vorbei! Er sah nicht zur Seite, hielt die Augen fest auf die Flügeltüren des Saals gerichtet.
Nahe dem Eingang fing ihn Magdalenas Lächeln ein, so viel Stolz und Bewunderung strahlte sie ihm entgegen, dass er trotz aller Angespanntheit schmunzeln musste. Meine gestrenge Eva, dachte er. Noch vor wenigen Stunden hatte er an sich halten müssen, um ein Haar wäre er ihretwegen aus der Haut gefahren. Erst das Bad in der Frühe, und das an einem Donnerstag! Wer die Mägde veranlasst hatte, den Zuber unten in der Waschküche mit heißem Wasser zu füllen, Seife und Wurzelbürste bereitzulegen, wusste er zunächst nicht. Als ihn seine Gattin mit verzagter Stimme bat, sich von allem Werkstattstaub zu reinigen, auch das Haar, ahnte er langsam, dass nur Magdalena die treibende Kraft sein konnte. Um des häuslichen Friedens willen war er der Bitte nachgekommen.
Frisch gewaschen und für die Feierstunde angekleidet, hatte er endlich das Schlafgemach verlassen. »Seid ihr mit meinem Äußeren zufrieden?« Eine Frage im Vorübergehen, er war auf dem Weg zur Werkstatt, wollte den Gesellen noch Anweisungen geben. Dass Anna zustimmend lächelte, nahm er aus den Augenwinkeln wahr, dann hörte er Magdalenas entrüstete Stimme: »Aber, Herr. Heute ist doch Euer Fest! Diesen Rock tragt Ihr jeden Sonntag.«
Abrupt blieb Til stehen. »Was willst du damit sagen?«
»Ich mein, Ihr könntet Eure beste Schaube anziehen. Und die Strümpfe mit dem blauen Seitenstreifen.« »Bin ich ein bunter Hahn?« Langsam drehte er sich um.
Sie hielt dem Blick stand. »Nein, Herr. Aber so seht Ihr aus wie …«
Ihr Zögern steigerte seinen Unmut. »Na, wie … Sag’s nur!«
»Wenn das Samtbarett noch etwas tiefer in der Stirn sitzt: wie ein Rabe.«
Frau Anna presste erschreckt die Hand vor den Mund. Er benötigte einen Atemzug, wollte aufbrausen, erwiderte dann doch nichts, nickte schließlich und murmelte: »Nun gut. Dann kleide ich mich also um.«
Unter ihrer Aufsicht war er herausgeputzt worden, ein Hemd mit weißem hohem Kragen, der dunkelblaue Samtrock, darüber die knielange Schaube. Erfolgreich hatte er sich nur gegen den Goldring wehren können und trotz der Bitten auf einen Blick in den Spiegel verzichtet. Die erstaunten, beinah ehrfürchtigen Begrüßungen vorhin auf der Straße und hier im Flur aber waren sichere Anzeichen, dass die Strenge seiner Eva sich gelohnt hatte. Wenn nur dem Marderpelz nicht solche Ausdünstungen entsteigen würden.
»Willkommen, Meister Tilman Riemenschneider. Willkommen, Frau Meisterin.« Nach einer Verbeugung ging der Diener voraus.
Einfallende Sonnenstrahlen ließen das Parkett glänzen, verstärkten die Farben der Gemälde. Der Saal füllte sich, bald waren bis auf wenige freie Plätze rundum an den Wänden die Sessel besetzt. Der Diener führte den Meister und seine Gattin hinüber zur Fensterseite. Ehe Til sich auf dem Polster niederließ, tauschte er quer durch den Raum ein Augenlächeln mit Bürgermeister Georg Suppan.
Weil neben ihm Frau Hedwig das Kinn so siegesgewiss anhob, bedrängte Til unvermittelt die Frage, ob seine Ernennung heute nicht etwa ihrem Ränkegeschick zu verdanken sei? Gleich verwarf er den Gedanken wieder und sagte sich: Nach dem Tod des Ratsherren Kumel musste die freie Stelle neu besetzt werden. Der Rat hat dem Domkapitel sechs Bürger zur Auswahl empfohlen, und ich war einer von ihnen. Mag sein, dass Georg aus guter Freundschaft für meine Nennung gesorgt hat. Mehr aber
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