Riemenschneider
unterbrach ihn der Bürgermeister und benetzte ausgiebig seine Lippen. »Ein kleiner Weg wird mir guttun. Ich und Hedwig begleiten euch noch zum Wolfmannsziechlein.«
Anna verstand den Hinweis rascher als ihr Gemahl und beeilte sich, das Versäumte nachzuholen: »Unser Haus steht euch offen. Heute ist ein Ehrentag für uns. Dürfen wir euch noch auf einen Becher Wein einladen?«
»Aber gern, meine Liebe.« Gleich hakte sich Hedwig bei der schmächtigen jungen Frau unter. »Dann haben wir endlich mal wieder Zeit, uns auszusprechen. Du weißt, ich bin eine gute Freundin, und mir darfst du alles anvertrauen.« Damit führte sie Anna schon davon.
Til rieb die Brauen. »Natürlich. Ich freue mich …«
»Warte noch einen Augenblick«, wurde er von Georg Suppan zurückgehalten. Erst als ihre Frauen außer Hörweite waren, spazierten die Männer los. »Bevor wir in der Franziskanergasse sind, wollte ich noch etwas mit dir besprechen.« Er glättete den Rock über dem Bauch. »Du bist nun einer von uns, Tilman, und dies sag ich aus ehrlichem Herzen. Im November nächsten Jahres werde ich mich wohl nicht mehr zum Bürgermeister wählen lassen. Ehe ich aber wieder ins Glied der Stadträte zurücktrete, muss noch etwas geregelt werden, damit auch in Zukunft das Richtige getan wird. Verstehst du?«
»Nein«, brummte Til, »wenn ich ehrlich sein soll, versteh ich gar nichts.«
»Das kommt schon noch.« Ein kleiner Wisch mit der Hand durch die Luft, dann setzte Georg den Gedanken fort. »Jetzt musst du mir einfach vertrauen, dass ich allein das Wohl der Stadt und der Bürgerschaft im Sinn habe. Die Zeit drängt. Morgen auf der Sitzung müssen wir einen neuen Stadtschreiber wählen, denn nach dreiundzwanzig Jahren legt unser verdienter Johannes Bucher das Amt nieder.« Der Ton sank ins Vertrauliche. »Ja, da gibt es einige Bewerber, die auch Stimmen hinter sich gesammelt haben. Aber mein Kandidat, glaub mir, ist der Beste für Würzburg.«
»Ich verstehe das Problem nicht. Wenn er der Beste ist, dann wird er auch gewählt. Oder?«
»Ach, guter Freund. So einfach geht’s in der Politik nicht. Und schon gar nicht beim Verteilen der Ämter. Die Wahl kommt erst ganz zum Schluss. Zuvor aber gibt es viele einzelne Gespräche, ich meine Verabredungen. Damit der richtige Kandidat auch durchkommt, muss für ihn eine Mehrheit gewonnen werden. So habe ich es immer gehalten und bin damit gut gefahren.«
Also doch, dachte Til, zog die Schaube tiefer in die Stirn und sah starr vor sich auf das Pflaster. »Willst du damit sagen …? Also wenn ich dir richtig zugehört habe, dann ist auch meine Wahl zum Stadtrat keine freie Entscheidung im Kapitel gewesen?«
»Aber, Freund, ich bitte dich. Den Domherren ist jeder Bürger recht, wenn er die Bedingungen erfüllt. Nein, bleib nicht stehen. Alles ist in guter Ordnung. Im Stadtrat sitzt eine Gruppe aufrechter Männer, zu denen auch ich mich zähle. Hin und wieder mag es auch kleine Zankereien zwischen uns geben. Bei den wichtigen Entscheidungen aber sind wir uns einig.«
»Weil du sie vorher bearbeitet hast.«
»So streng darfst du das nicht sehen, lieber Freund. Erläutert, ich habe ihnen die Sachlage erläutert.« Suppan lächelte gewinnend zum Bildschnitzer auf. »Erinnere dich. Auch für deine Nackten vor der Marienkapelle musste ich viel Überzeugungsarbeit leisten, ehe entschieden wurde.«
Entwaffnet hob Til die geöffneten Hände, mit unmerklichem Schmunzeln gab er sich geschlagen. »Du verstehst dein Amt, Bürgermeister.«
»Mit dir hätte unsere Gruppe die Mehrheit«, setzte Suppan gleich nach. »Auch das sage ich der Ehrlichkeit halber, und ich rechne in Zukunft fest mit deiner Stimme. Vor allem bei der Entscheidung morgen.«
Til spürte das Unbehagen, es mischte sich in den Gestank seines Marderkragens. »Ich soll am Ratstisch sitzen ohne eigene Meinung, ohne …«
»Das ist noch alles sehr neu für dich.« Der Ton beschwichtigte, der Bauch hob und senkte sich. »Wir wollen gemeinsam eine Meinung vertreten, das ist unser Ziel. Und der geeignetste Kandidat für das Amt des Stadtschreibers ist nun mal Notar Martin Cronthal.«
»Das sehe ich genauso.« Verblüfft blieb Meister Til stehen. »Ihn wähle ich gern. Natürlich, er ist der Beste.«
»Und unser Freund.« Georg Suppan tätschelte ihm die Hand. »Siehst du, das ist politische Arbeit. So einvernehmlich werden wir in Zukunft die Entscheidungen treffen. Und nun komm! Vom vielen Reden klebt mir die Zunge am Gaumen.«
Immer noch von sich
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