Riemenschneider
eindeutige Zeichen, drohte auch mit der Faust und winkte wieder. Völlig außer Atem, vom Erfolg aber sichtlich zufrieden, klammerten sich Barthel, Hans und Jörg mit den Händchen an die Seitenlade und sahen dem Geschehen neugierig, nun aber stumm zu.
»Eure Majestät sind sehr verständnisvoll. Habt Dank!« Til verbeugte sich.
Mit leichtem Kopfschwung warf Maximilian das wellige, schulterlange Haar zurück und zeigte keine Eile. »Sag, guter Mann, welchen Beruf übst du aus?«
»Bildhauer und Bildschnitzer. In aller Bescheidenheit, ich führe eine Werkstatt mit vierzehn Gesellen.«
»Bescheiden nennst du das?« König Max lachte und schlug die Faust leicht in die linke Handfläche. »Und wo gibt es etwas von dir zu bewundern?«
»Wenn Eure Majestät vor der Marienkapelle die Augen heben. Dort steht das erste Menschenpaar Adam und Eva. Oder im Dom zu Bamberg. Es war mir vergönnt, das Grabmal von Kaiser Heinrich und seiner Gemahlin Kunigunde neu zu schaffen. Oder den Altar …«
»Genug«, unterbrach ihn der Regent lebhaft, er rieb die Brauen, fuhr mit dem Finger den Grat der kräftigen Nase hinab. »Du verzeihst, wenn mir bis heute keines deiner Werke bekannt ist, aber meine Neugierde ist nun geweckt. Bildschnitzer? Das erinnert mich an einen deiner Kollegen, dessen Arbeiten ich sehr schätze. Veit … Ja, Veit Stoß. Er hat in Krakau diesen wunderbaren Altar geschaffen. Jetzt lebt er wieder in Nürnberg. Kennst du ihn?«
Kaum war der Name gefallen, hatte sich Til aufgerichtet, hatten sich die Falten um seinen Mund vertieft. Scharf sog er den Atem durch die Nase. Mehr brachte er nicht hervor.
»O, o, sollte ich da etwa eine wunde Stelle berührt haben?« Der freundliche Spott war nicht zu überhören. »Ein Konkurrent etwa?«
»Nein«, schnappte Til, gleich nickte er entschuldigend. »Erlaubt mir zu schweigen.«
»Einverstanden. Allerdings …« Der Finger spielte auf der Nasenkuppe. »Jedermann kennt meine unbändige Neugierde. Deute mir wenigstens an, was dich mit Veit Stoß verbindet.«
»Nichts, gnädiger Fürst. Außer dass mir berichtet wurde … dass er, dass er im letzten Jahr meinen Flügelaltar für die Stadtpfarrkirche in Münnerstadt farbig gefasst hat … sogar vergoldet.«
Der König lachte leise und schloss den Verschlag, er lehnte den Ellbogen in die Fensteröffnung. »Was ist daran ärgerlich?«
»Verzeiht, ich habe diesen Altar zu Ehren Maria Magdalenas vor mehr als zehn Jahren erschaffen. Ich umgab den Leib mit ihrem Haar, und jede Locke, jede Strähne ist ausgearbeitet.« Das Herz schlug Til auf der Zunge. »Engel tragen die Heilige hinauf, um dem Gesang der himmlischen Heerscharen zu lauschen. Majestät, das Holz lebte. Und dieser Mann hat es zugekleistert.«
»So viel Leidenschaft für die eigene Arbeit? Meinen Respekt, Meister. Ich wünschte, einer meiner Sekretäre würde solch ein Engagement für die Reichspolitik aufbringen. Sei dem Kollegen Stoß nicht gram. Er wird es nicht aus Bosheit, sondern gewiss im Auftrag und für Geld getan haben.«
König Max winkte den Bürgern am Straßenrand, und in dem erneut einsetzenden Jubel wandte er sich noch einmal an den Meister: »Selten bin ich so unterhaltsam von einer Stadt empfangen worden. Dies ist dein Verdienst, guter Mann.« Er schloss das Fenster.
Die Bläser gaben Signal, auf dem Bock schnalzte der Kutscher, schlug leicht mit den Zügeln, und die sechs Schimmel zogen an. Langsam bewegte sich der königliche Zug durchs Pleichacher Tor. »Vivat! Vivat, König Max! Vivat!«
Die Aufsicht über Torhaus und Posten ermüdete. Zäh zogen sich die Stunden. Immer wieder nickte Til oben in der Wachstube ein. Nach dem Empfang des Königs und nachdem die Schaulustigen sich hinter dem endlosen Tross aus Berittenen und Versorgungswagen auf der Straße vereinigt hatten und schwatzend zurück in die Stadt geflutet waren, kämpfte der Meister gegen den Schlaf.
Keine Pflicht war ihm so verhasst wie der Wachdienst. Doch sobald hohe geistliche oder weltliche Würdenträger ihren Besuch in der Stadt ankündigten, musste ein Mitglied des Rates die Torwache kommandieren, um den Gast würdig zu empfangen. Und er durfte sich keinen Stellvertreter aus der Bürgerschaft kaufen. Nicht genug, er hatte sogar die Pflicht, den Dienst bis zur gewohnten Ablösung zu übernehmen. Weil aber König Max in der Stadt logierte, würde ihn nicht der Hauptmann erlösen, sondern ein anderer Ratskollege. »Was für eine Ehre«, seufzte Til und stützte den Kopf in die andere Hand.
Weitere Kostenlose Bücher