Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
»Gern hätte ich darauf verzichtet und könnte jetzt schon im Bett liegen.«
Das störende Geschrei seiner Söhne war längst in ihm verhallt, umso lauter aber meldeten sich die Gedanken an Veit Stoß. »Ihn kennt der König. Weiß sogar, dass sein großer Marienaltar in Krakau steht.« Er schob die Unterlippe vor und zurück. »Dabei hört man nichts Gutes über den Herrn Kollegen. Die Wangen haben sie ihm mit glühendem Eisen durchstoßen, weil er eine Urkunde gefälscht hat. Na, mir soll’s gleich sein. Nürnberg. Diese Stadt gehört eben zu einer anderen Welt. Ob nun Maler oder Schnitzer, jeder neuen Mode wird dort hinterhergerannt. Selbst der viel gerühmte Albrecht Dürer ist sich nicht zu schade.« Der Meister lehnte sich zurück. »Nein, niemals. Was in Italien gefällt, muss hier in unserm Frankenland nicht schön sein. Ich weiß meine Richtung, und die gehe ich weiter.«
Singsang unterbrach die Stille. »Hört, ihr Leute …« Von der Pleichacher Straße her verkündete der Nachtwächter auf seinem Rundgang die zwölfte Stunde. Mitternacht. » … bewahrt das Feuer und das Licht.«
Til erhob sich und stieg die enge Treppe hinab. Unten erwartete ihn seine Ablösung. »Keine besonderen Vorkommnisse.«
Gestützt auf den Diener mit der Laterne, schnaufte der Ratskollege einige Male. »Ist … ist in Ordnung«, brachte er dann mit schwerer Zunge hervor. Schweiß stand ihm auf der Stirn. »Bin nur froh … froh bin ich …« Der Satz bereitete große Mühe. »Mein Freund, sei froh, dass du nicht im Grünen Baum auf unsern … unsern Max saufen musstest.« Ein kameradschaftliches Grinsen, der Versuch, die dargebotene Hand zu fassen, ging ins Leere, vor der untersten Stufe wandte sich der Ratsherr noch einmal um. »Das sag ich dir, Meister. So ein Königsbesuch … also, der strengt an.« Er zog den säuerlichen Geruch nach Wein und Schnaps mit sich die Treppe hinauf.
Als Til das Stolpern und Fluchen hörte, hob er nur leicht die Brauen und wandte sich an den Lichtdiener. »Bring mich zur Franziskanergasse. Es war ein langer Tag.« Damit ging er schon in die Dunkelheit voraus. Der Knecht hastete ihm nach und blieb dann mit erhobener Laterne einen Schritt vor seinem Kunden.
»Wir müssen achtgeben, Herr. Die Ketten sind gezogen wegen des Königsbesuches. Da vorn an der Ecke ist die erste.« Er senkte das Licht, bis der Meister hinübergestiegen war. Die Quersperren dienten der Sicherheit des hohen Besuches, kein Reiter, kein Wagen konnte während der Nachtstunden diese Hindernisse überwinden.
An der Toreinfahrt zum Wolfmannsziechlein entlohnte Til seinen nächtlichen Führer und schloss die Pforte auf. Von den Laternen rechts und links der Haustür fiel ein schwacher Schimmer in den Hof. Mit Schwanzwedeln und leisem Schniefen begrüßte der Wachhund seinen Herrn. Til bückte sich etwas schwerfällig hinunter und strich ihm durchs Fell. »Leg dich wieder hin, mein Alter. Ich bin auch hundemüde.«
Im Haus war es still, die Öllampen an den Flurwänden waren tief heruntergedreht. Als er sich durchs Halbdunkel der Wendeltreppe näherte, schüttelte er den Kopf, glaubte, die Erschöpfung spiele ihm einen Streich, dann stockte er. Kein Irrtum, eine Gestalt im hellen Hemd, den Kopf auf den Knien, kauerte dort auf der zweiten Stufe. »Was willst du hier?«, raunte er.
Nichts. Reglos hockte die Person da. Til trat zu ihr, und beim Niederbeugen wusste er es. »Aber, Kind.« Behutsam fasste er nach der Schulter. »Wach auf!«
Gertrud fuhr hoch, dem ersten Erschrecken folgte einen Atemzug lang Erleichterung, gleich aber wuchs wieder die Not in ihrem Blick. »Ich hab auf dich gewartet.« »Warum? Ist etwas geschehen?«
Die langen Zöpfe baumelten vor ihrer Brust. »Aber, Vater. Weißt du das nicht mehr?« Til fiel der Mittag ein, die Tochter wollte mit ihm reden. O großer Gott, flehte er tonlos, aber doch nicht mitten in der Nacht. Nein, keine Schwäche jetzt, sie ist von deinem Fleisch und Blut, und du bist ein Vater, der nie Zeit hat. Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Aber ja, mein Mädchen. Ich weiß es noch. Habe nur nicht erwartet, dass du so lange auf mich warten würdest. Nun komm. Gehen wir in die Küche, da ist es noch warm, und wir wecken das Haus nicht auf.«
Sie saßen sich am Tisch gegenüber. Aus dem Weinkrug schenkte Til für beide ein. »Trink erst mal.«
Gertrud schüttelte den Kopf, sie hatte die fest gefalteten Hände vor sich gegen die Holzkante gepresst, weiß schimmerten die Knöchel im

Weitere Kostenlose Bücher