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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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die Konsequenz gestellt, sie zu akzeptieren, auch mit ihren beiden Jungs, wie sie sich ausdrückte, oder sich nach einer anderen umzusehen. Ihr Vater hatte mit seiner Weigerung, die Miete für die »Mörder-WG« zu bezahlen, das Fass zum Überlaufen gebracht. Es war spannend, nahestehenden Menschen dabei zuzusehen, wie lange sie sich etwas gefallen ließen, dumm nur, wenn man selbst beteiligt war   ...
    Als Kamila plötzlich vor ihm stand, schlug Thomas das Herz bis zum Hals. Sie war größer, als er sie in Erinnerung hatte. Sie war schöner als das Bild in seinem Kopf, und damit, dass sie ihn anstrahlte, hatte er nicht gerechnet. Mit weichen Knien stand er auf. Das war kein guter Anfang, sich so zu verknallen, dabei sah man ziemlich blöd aus. Sie gaben sich die Hände, sahen sich an und wussten vor Befangenheit nicht weiter.
    Da zog sie die Hand zurück, legte die Finger an seine Wange und drückte den Kopf leicht zur Seite.
    »Tut es noch weh? Ist es genäht?«
    Thomas war ihr dankbar für die Initiative, er hätte kein Wort herausgebracht. Verdammt, was ging da bei ihm ab?
    |307| »Am nächsten Tag«, krächzte er.
    »Wie bitte?« Kamila lachte schon wieder.
    »Genäht«, sagte Thomas und wies linkisch auf den freien Stuhl. Er konnte sich gar nicht sattsehen, sie sah wirklich viel besser aus als in der schrecklichen Nacht. Ihre Augen, die ihn neugierig anblickten, waren schöner – Kamilas Augen – war das ein Name für einen Wein? Ach, Kitsch war das, und doch schlug sein Herz, dass sie es hören konnte. Jetzt war ihm die Szene vor der »Florida Lounge« peinlich. »Ich bin kein Schläger«, sagte er und meinte, sich verteidigen zu müssen. »Ich habe mich noch nie geprügelt.«
    »Dafür kannst du es aber ziemlich gut.«
    »Sport, Karate, Tai-Chi, das mache ich seit Langem, aber nie ernst, so wie neulich. Wirst du Anzeige erstatten, wegen Beleidigung? Sogar die Polizisten haben die Worte gehört, ich habe dafür gesorgt, dass sie ins Protokoll aufgenommen wurden.«
    »Wem nutzt das? Mir nicht – und dir auch nicht. Warum sind sie auf dich los?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    »Dann erzähle sie mir. Ich habe Feierabend. Du nicht?«
    Beim Anblick ihres Lächelns konnte er unmöglich Nein sagen. Wie ließ sich die Geschichte einigermaßen wahrheitsgemäß rüberbringen, ohne Kamila abzuschrecken? Wer wollte sich mit einem Typen einlassen, der bis zum Hals in irgendeinem Schlamassel steckte und in Verbrechen verwickelt war? Und was wusste er von ihr?
    Das Bestellen eines Tees und die Auswahl der Sorte aus dem reichhaltigen Angebot gab Thomas Zeit, sich den Einstieg zu überlegen. Eigentlich hatte er die Fragen stellen wollen, aber er erzählte von Manuel und ihrer WG.   Mit Kommentaren zu Alexandra hielt er sich zurück, doch Kamila verstand die Botschaft. Vom Weingut sprach er nicht, denn welche Frau würde sich mit einem Bauern einlassen?
    Kamila ist anders, sagte er sich, doch bei dem Gedanken |308| klangen ihm die Worte seines Vaters im Ohr: »Ja, natürlich, am Anfang sind sie immer anders, und am Ende ist alles wie immer.« Thomas nahm sich vor, es langsam angehen zu lassen, er dachte daran, wo er sie getroffen hatte.
    Sie stammte angeblich aus einem Dorf in der Nähe von Wroclaw, Breslau zu Deutsch, wo ihre Eltern einen Hof bewirtschaftet hatten, bis einige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das von ihnen gepachtete Land an einen westlichen Agro-Konzern verkauft worden war. Ihren Teil verloren sie aufgrund obskurer Gesetze und gekaufter Anwälte, eine legale Enteignung mit einer minimalen Entschädigung. So hatten alle Familienmitglieder irgendwo Arbeit suchen müssen. Ihr Vater hielt sich seitdem mit einem Reparaturbetrieb für Landmaschinen über Wasser. Sie hatte man zu ihrem Onkel und der Tante nach Frankfurt geschickt, und in der Spedition, in der beide arbeiteten, war auch sie jetzt beschäftigt.
    »Wir begehen weder Umsatzsteuerbetrug noch verschieben wir geklaute Autos in den Osten«, sagte sie. »Der Job ernährt mich, heute muss man nehmen, was man kriegt.«
    Aber sie schleppe sich da täglich hin, im Grunde sei die Arbeit sterbenslangweilig. Deshalb hatte ihre Freundin sie neulich mit in die »Florida Lounge« geschleppt, da gäbe es »Typen zum Aufreißen«, die auf Polinnen stünden und die sogar heiraten würden. Sie erzählte von ihrer »Heimat«, sprach von ihren Geschwistern, vom Heimweh, von den Problemen mit den Deutschen, ihrer Unfreundlichkeit und ihrer ewigen

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