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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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Kopf gestellt, alle Aktenordner durchgeblättert, alle Bücher aus dem Regal geräumt und dahinter nachgeschaut, als wenn Manuel den Oscar da versteckt hätte.«
    »Den Oscar?«
    |100| »Ja, sie hatte so eine Figur in ihrem Apartment, eine Replik. Er hat das der Polizei gesagt, als sie ihn gefragt haben, ob etwas fehlt. Übrigens habe ich erfahren, dass er zum Apartment was zugezahlt hat, damit sie es sich leisten kann, kostet beinahe dreimal so viel wie unsere Zimmer hier. Na ja, sie war auch was Besseres.«
    »Wozu den Oscar? Was wollte sie damit?«
    »Ihn gewinnen, sie war immerhin ein Star, wusstest du das nicht?« Regine war ihr aus dem Weg gegangen und wusste vieles nicht.
    »Weißt du, was genau sie mitgenommen haben?«
    Thomas blickte auf die weiße Kühlschranktür. »Dokumente von seinem Schreibtisch, irgendwelche Forschungsunterlagen, die Manuel nicht kannte. Dann dieser Riesling. Frag mich nicht, weshalb.«
    »Glaubst du nicht, dass irgendwas an der Sache dran ist, wenn sie Manuel mitgenommen haben? Grundlos verhaften sie wohl kaum jemanden   ...«
    Thomas schnappte nach Luft, dann zog er den Kopf zwischen die Schultern, als wolle er auf Regine losgehen. Sie erschrak und machte sich klein.
    »Sag das nie wieder, Regine, bitte«, sagte Thomas. »Verstehst du? Nie wieder   ...«
    »Ist ja gut, reg dich nicht immer gleich auf. Man wird ja noch denken dürfen. Sei nicht so empfindlich. Wie geht es jetzt mit seinem Studium weiter?« Regine war bemüht, schleunigst von dem brisanten Thema wegzukommen.
    »Keine Ahnung. In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass Manuel und ich mit einem hiesigen Winzer verabredet sind.«
    »Mit wem?«
    »Es ist fast ein Nachbar von euch in Hochheim, ein Künstler   ...«
    »Du wirst es kaum glauben, da war ich noch nie, aber ich komme gerne mit   ...«

|101| 6
    Die Nachricht von Manuel Sterns Verhaftung hatte an der Hochschule längst die Runde gemacht. Hatte man zuerst besorgt über den Mord gesprochen, so war jetzt ein gewisses Aufatmen über die Festnahme des Täters zu spüren und gleichzeitig Entsetzen, dass er aus den eigenen Reihen stammte. Es war das bestimmende Thema am Kaffeeauto maten vor der Mensa wie in den Vorlesungspausen und in den Büros der Dozenten sowie in den Labors.
    Fassungslosigkeit herrschte darüber, dass Manuel Stern der Täter sein sollte. Das hatte niemand erwartet, obwohl ihn kaum jemand näher kannte, dazu war er zu unauffällig und zu still. Die Begegnungen waren flüchtig gewesen, und die Studierenden desselben Jahrgangs hatten wenig über den zurückhaltenden Kommilitonen zu berichten. Lediglich sein Wagen war ihnen aufgefallen, und die bescheidene Gegenwart an der Seite seiner auffälligen Freundin Alexandra. Den Professoren und Dozenten war Manuel Stern, wie Johanna erfuhr, durch Leistungen im Gedächtnis, die weit über dem Durchschnitt lagen. Bereitwillig hatte er anspruchsvolle Aufgaben übernommen, was im Widerspruch zu seiner Zurückhaltung bei Debatten stand. Jedoch zeigten seine Fragen großes Interesse an allem, was im Entferntesten mit Weinbau in Zusammenhang gebracht werden konnte.
    So wie Johanna ihn am Wochenende erlebt hatte, war es für sie ausgeschlossen, dass er sich zu einer Gewalttat hatte |102| hinreißen lassen. Er war für sie als Täter undenkbar – und doch war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, eine Nacht mit ihm unter demselben Dach verbracht zu haben. Gleichzeitig war sie schockiert, dass überall ohne Widerspruch akzeptiert wurde, er sei der Mörder seiner Freundin – als wäre es bewiesen. Galt nicht jeder, solange er nicht verurteilt war, als unschuldig? Es war erschreckend, wie schnell die Unschuldsvermutung aufgegeben worden war.
    »Da wird sicher was dran sein, unsere Kriminalpolizei weiß, was sie tut. Das ist ja kein Spaß.« Die Gewissheit, mit der die Sekretärin, die sie über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden hielt, das sagte, stimmte Johanna nachdenklich.
    »Fünfundneunzig Prozent aller Morde werden bei uns in Deutschland aufgeklärt«, fügte sie stolz hinzu.
    »Kennen Sie Herrn Stern eigentlich?« Johanna stellte die Frage, um ihr vorsichtig vor Augen zu führen, dass sie möglicherweise Vorurteilen aufsaß.
    Die Antwort reduzierte sich auf ein »Nein, aber   ...«, gefolgt von dem mit Abscheu vorgetragenen Bericht, dass vor einigen Jahren in Geisenheim ein junger Arbeitsloser den Lebensgefährten seiner Großmutter erschlagen hatte, als er ihn in seiner Wohnung beim Diebstahl überraschte, »für

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