Riesling zum Abschied
dem sie Verständnis für ihre Ansichten voraussetzen konnte. Es war ihr heute ein echtes Bedürfnis, über das Erlebte zu sprechen, sich mehr Klarheit über ihre Gesprächspartner zu verschaffen und ganz einfach Dampf abzulassen. Sollte sie ihn anrufen?
Als sie zum Telefon ging, klingelte Markus, damit war das Thema erledigt.
Er zog sie an sich, sie spürte, worauf er aus war, doch ihr fehlte heute die Lust. Sie brauchte Abstand.
»Ich habe einen schweren Tag hinter mir«, sagte sie und wand sich aus seiner Umarmung.
»Dafür riechst du wunderbar.« Er gab seine Annäherungsversuche nicht auf und nahm sie bei den Armen. Er merkte nicht, dass ihr Widerstand nicht als Koketterie oder Spiel gemeint war, deshalb war ihre Reaktion heftig. Wütend schüttelte sie ihn ab.
»Lass mich verdammt noch mal in Ruhe!«
Mit offenem Mund stand Markus vor ihr. »Was ist los? Hast du einen schweren Tag hinter dir?«
»Genau das habe ich eben gesagt, wortwörtlich! Aber du hörst mir nicht zu. Und wenn ich nicht will, dass mich jemand anfasst, kann ich verdammt böse werden.«
|155| Ihr war klar, dass er lediglich als Blitzableiter diente. Es tat ihr leid.
»Wenn du dich aussprechen willst, dann tu’s. Hast du Hunger, sollen wir essen gehen?«
»Da komme ich gerade her«, sagte sie und schämte sich wegen ihrer heftigen Reaktion.
»Willst du spazieren gehen? Komm, wir fahren an den Rhein und trinken ein Glas Wein.«
Johanna winkte ab. »Ich mache mir einen Tee. Wo der Wein steht, weißt du. Eine angebrochene Flasche Sekt von gestern ist noch da.« Das hörte sich bereits wieder verbindlicher an, und Markus, jetzt vorsichtig geworden, ließ sich darauf ein.
Johanna berichtete von den Begegnungen, aber sie fand bei Markus wenig Gehör.
»Du hältst dich besser raus, Johanna. Du weißt nichts von den Hintergründen, du kennst die Verbindungen zwischen deinen Kollegen und diesen Leuten nicht, vielleicht hat dein Student seine Freundin tatsächlich umgebracht? Du kennst ihn kaum. Nach einer kurzen Begegnung zu urteilen, halte ich für zu gewagt. Man kann niemandem hinter die Stirn schauen.«
Auch dir nicht, mein Junge, dachte sie und wechselte das Thema. Sie dachte laut über die Bemühungen der Winzer nach, Umweltschutz umzusetzen.
Markus hielt alles für eine Farce, für Marketing und Selbstdarstellung. »Sie tun es, weil es gut klingt, damit kann man sich darstellen. Euer VDP veranstaltet Hokuspokus im Weinberg, leuchtet aus Marketinggründen die Steillagen an der Mosel aus, sie verbrauchen Strom ohne Ende, und du dozierst über Energieeffizienz, bringst den Studenten bei, wie man Energie spart. Das ist doch alles lächerlich.«
»Meinst du nicht, dass du vielen damit unrecht tust, die es ernst meinen?« Johanna teilte seine Meinung bis zu einem gewissen Grad, aber das Wochenende bei den Achenbachs |156| hatte sie mit Menschen zusammengebracht, die es ernst meinten. Und auch ihre Studenten hörten zu.
»Sie verändern das Klima nicht, aber sie tun mehr als die, die für die Schäden verantwortlich sind und sie bewusst in Kauf nehmen.« Wenn sie so sprach, hatte sie manchmal das Gefühl, eine andere sprechen zu hören, belächelte sie doch zu oft das, wofür sie selbst viele Jahre lang eingetreten war. Sie empfand es heute als naiv, als lieb gemeint, hilflos und letztlich unnütz.
Es war das erste Mal, dass sie nicht miteinander schliefen, wenn er bei ihr war. Jeder kroch unter seine Decke und wandte sich ab. Und als sie beim Hellwerden vor ihm erwachte und ihn ansah, war ihr klar, dass es auch das letzte Mal gewesen war, dass sie mit ihm das Bett geteilt hatte. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Lieber war sie allein als in schlechter Begleitung.
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Die beiden Rosa Handtaschen saßen tief über die Zeitschrift gebeugt und verschlangen Fotos und Bildunterschriften mit den Augen. Sie bemerkten nicht, dass Thomas sich im Hörsaal in die Reihe hinter ihnen gezwängt hatte und ihnen über die Schulter sah. Vor ihnen lag aufgeschlagen die Sonderausgabe einer Fachzeitschrift zum German Wine Cup, einem Superevent, bei dem Hunderte von internationalen Weinen probiert, bewertet und prämiert wurden. Es war die deutsche Weinshowschlechthin, bei der sich alles zeigte, was glaubte, in der Szene einen Namen oder entsprechende Handelsumsätze zu haben.
Alexandra war die Schönste der Handtaschen gewesen und damit das Alphatier, sie war bewundert worden. Dass Frauen wie sie zu einer wirklichen Freundschaft fähig waren,
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