Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
Carlys beste Freundin, sondern auch der vernünftigste Mensch, den sie kannte. Und an diesem Tag, der wie ein Albtraum gewesen war, der schlimmste Albtraum seit dem Augenblick, in dem sie vom Tod ihres Mannes erfahren hatte, brauchte sie dringend menschliche Vernunft.
»Wie geht es, Süße?«
»Ich fühle mich gar nicht süß.«
»Du warst im Fernsehen. Wir haben dich gerade in den Lokalnachrichten gesehen. Der Unfall. Die Polizei sucht nach einem weißen Lieferwagen. Haben sie dir etwas darüber gesagt?«
»Sie haben kaum etwas gesagt.«
»Wir sind mit einer Flasche Champagner unterwegs, um dich aufzuheitern. In zehn Minuten sind wir da.«
»Eure Gesellschaft kann ich gut gebrauchen, aber ein Drink ist so ziemlich das Letzte, wonach mir der Sinn steht.«
23
CLEO SCHLIEF IN IHREM KRANKENHAUSBETT. Der Ärmel des blauen Nachthemds war ihr über den Ellbogen gerutscht. Grace, der seit einer Stunde an ihrem Bett saß, schaute von ihrem Gesicht zu den zarten blonden Härchen auf ihrem schlanken Arm und dachte, wie reizend sie aussah, wenn sie schlief. Dann fiel sein Blick auf das graue Plastikband, das sie ums Handgelenk trug, und die Angst überkam ihn aufs Neue.
An ihrem Bauch waren Kabel befestigt, die zu einem Computer am Fußende des Bettes führten, doch er wusste nicht, was die Anzeigen auf dem Bildschirm bedeuteten. Er konnte nur hoffen, dass alles in Ordnung war. Im schwachen, flackernden Licht des Fernsehers, der oben an der Wand hing, sah sie blass und verletzlich aus.
Er hatte Angst.
Er horchte auf das stete Geräusch ihres Atems. Dann durchschnitt das Geheul einer Sirene die Stille, von irgendwo näherte sich ein Krankenwagen. Cleo wirkte so stark und gesund. Sie achtete auf sich, ernährte sich vernünftig, trieb Sport und hielt sich fit. Sicher, bevor sie schwanger wurde, hatte sie abends gern einen getrunken, doch sowie sie von der Schwangerschaft erfuhr, hatte sie es stark reduziert. In den vergangenen Wochen hatte sie auf jeglichen Alkohol verzichtet.
Was er besonders an ihr liebte, war ihre positive Haltung, dass sie immer das Gute in jedem Menschen sah und jeder Lage etwas Positives abgewinnen konnte. Sie würde eine wunderbare Mutter werden. Die Vorstellung, sie könnten ihr Baby verlieren, war unerträglich.
Schlimmer noch, es gab auch noch die undenkbare Gefahr, dass Cleo selbst sterben könnte.
Auf dem Schoß hatte er ein Dokument, in dem alle Akten aufgelistet waren, die er für das Verfahren gegen Carl Venner benötigte. In der vergangenen Stunde hatte er versucht, sich darauf zu konzentrieren; er musste es heute Abend noch durchlesen, um sicherzugehen, dass alles vollständig war. Am nächsten Morgen hatte er einen Termin mit der Finanzermittlerin Emily Curtis, um die Dokumentation der Beschlagnahmung fertigzustellen. Leider konnte er sich überhaupt nicht konzentrieren.
Es war 21.10 Uhr. Im Fernsehen lief eine neue Krimiserie namens Luther , doch der Ton war abgestellt. Wie die meisten Polizisten schaute er sich selten Krimisendungen an, weil ihn die Fehler darin zur Weißglut trieben. Auch diese hatte er nach einer Viertelstunde ausgeschaltet, als die Hauptfigur, angeblich ein erfahrener Ermittler, in normaler Straßenkleidung an einem Tatort herumstapfte.
Er dachte an den tödlichen Unfall vom Morgen. Die ersten Augenzeugenberichte lagen vor. Der Radfahrer war auf der falschen Straßenseite gefahren, aber das war nicht ungewöhnlich, so etwas kam öfter vor. Handelte es sich um einen Mordanschlag, hatte er dem Fahrer des Lieferwagens die perfekte Gelegenheit gegeben. Woher aber hätte der Fahrer wissen sollen, dass der Mann gerade zu diesem Zeitpunkt auf der falschen Straßenseite fahren würde? Die Theorie passte vorn und hinten nicht, wenngleich der Lieferwagen eine rote Ampel überfahren hatte.
Die Verbindung zu der New Yorker Gangsterfamilie behagte ihm allerdings nicht. Er konnte es nicht präzisieren, hatte aber ein ungutes Gefühl dabei.
Viele Leute behaupteten, die italienische Mafia, wie man sie aus Filmen kannte, sei Geschichte, aber Grace wusste es besser. Vor sechs Jahren hatte er ein Seminar im Ausbildungszentrum des FBI in Quantico, Washington, absolviert und sich mit einem Ermittler aus Brooklyn angefreundet, der Fachmann auf dem Gebiet der Mafia war.
Natürlich war es eine andere Organisation als zu ihrer großen Zeit. Während der Prohibition, die von 1920 bis 1933 den Verkauf und Genuss von Alkohol in den Vereinigten Staaten untersagte, waren die
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