Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
ließ den Knochen in den Korb fallen, fraß ihn aber nicht. Dafür bliebe noch eine Menge Zeit.
Wenige Minuten später hörte er ein vertrautes Geräusch – Schritte, die sich entfernten. Dann schlug eine Tür zu.
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UM KURZ NACH HALB DREI verabschiedete sich Roy Grace von seinem Team in Sussex House. Er werde zur Besprechung um halb sieben zurück sein. Dann fuhr er nach Hause, um nach der Post zu sehen und den Zustand des Hauses zu überprüfen. Der Makler hatte für morgen eine Besichtigung angekündigt. Außerdem wollte er sichergehen, dass sein Goldfisch Marlon genug zu fressen hatte. Er vertraute Glenn nicht so ganz, der im Augenblick nur an seine gescheiterte Ehe denken konnte.
Es war ein sonniger Nachmittag, und in der Luft lag das erste Versprechen des nahenden Sommers. Als er die vertraute Church Road entlangfuhr, überkam ihn eine plötzliche Traurigkeit. Zehn Jahre zuvor war er jedes Mal aufgeregt gewesen, wenn er durch die breite Wohnstraße kam, weil er gleich zu Hause sein würde. Zu Hause bei Sandy.
Er wartete, um einen älteren Mann im Elektrorollstuhl vorbeizulassen, und fuhr dann in Richtung Promenade. Die Häuser auf beiden Seiten waren gleich, Doppelhaushälften im Pseudo-Tudorstil mit drei Schlafzimmern, Garage, kleinem Vorgarten und Garten hinter dem Haus. Hier hatte sich im Laufe der Jahre wenig verändert außer den Automodellen. Ab und zu kam ein Verkaufsschild wie das vor seinem Haus dazu.
Als er in die Einfahrt bog, kam es ihm vor wie ein Geisterhaus. In den vergangenen Monaten hatte er Sandys Kleider in Kartons gepackt und in Secondhandläden gebracht, doch trotzdem war ihre Gegenwart immer noch deutlich zu spüren. Er stellte den Ford vor dem Garagentor ab. Dort drinnen stand Sandys uralter schwarzer VW Golf, mit Staub bedeckt, die Batterie längst leer. Er wusste nicht, weshalb er ihn behalten hatte. Vielleicht, weil er sich immer noch fragte, ob er bisher unentdeckte forensische Hinweise enthielt. Oder einfach aus sentimentalen Gründen.
Wer immer geschrieben hatte, die Vergangenheit sei ein anderes Land, hatte recht gehabt. Obwohl sich in der Gegend so wenig verändert hatte, kamen ihm sein Haus und die Straße zunehmend fremder vor.
Als er ausstieg, bemerkte er Noreen Grinstead, seine Nachbarin von gegenüber, die sich wie jeden Samstagnachmittag an ihrem Auto zu schaffen machte. Sie war eine scharfsichtige, schreckhafte Frau Mitte siebzig, deren Mann vor einigen Jahren an Alzheimer gestorben war. Sie trug Gummihandschuhe und polierte ihren alten Nissan, als hinge ihr Leben davon ab. Sie schaute sich um und winkte ihm traurig zu.
In letzter Zeit musste er allen Mut zusammennehmen, um das Haus zu betreten, weil die Erinnerungen immer schmerzlicher wurden. Das Haus war damals völlig heruntergekommen gewesen, als sie es im Rahmen einer Testamentsvollstreckung gekauft hatten. Mit ihrem großartigen Geschmack und ihrer Leidenschaft für Zen-Minimalismus hatte Sandy es in ein cooles, modernes Zuhause verwandelt. Nun aber waren Gebäude und Zen-Garten völlig verwildert, und es kehrte langsam in seinen ursprünglichen Zustand zurück.
Vielleicht würde ein anderes junges Paar, erfüllt von Glück und großen Träumen, es kaufen und in etwas ganz Besonderes verwandeln. Zurzeit aber sah es auf dem Immobilienmarkt nicht gut aus. Graham Rand, der Chef der Maklerfirma, hatte vorgeschlagen, den Preis zu senken, was Grace auch getan hatte. Es war Frühling, vielleicht erholte sich der Markt, und mit etwas Glück würde das Haus endlich verkauft.
Zu seiner Überraschung war die Post ordentlich auf dem Tisch in der Diele aufgestapelt, und zu seiner noch größeren Überraschung schien der Raum geputzt worden zu sein. Ebenso das Wohnzimmer, das Glenn in den vergangenen Monaten in eine Müllhalde verwandelt hatte. Grace eilte nach oben und schaute ins Schlafzimmer. Auch das wirkte makellos, das Bett war ordentlich gemacht. Hier drinnen sah es aus wie in einem Musterhaus. Sollte das Glenns Werk sein?
Seltsam, aber alles wirkte noch fremder als zuvor. Es schien, als wäre Sandys Geist zurückgekehrt. Sie war geradezu von Ordnung besessen gewesen.
Marlons Futterbehälter war voll, und soweit man das bei einem Goldfisch sagen konnte, schien er sich über Roys Besuch zu freuen. Er schwamm einige Runden in seinem Glas, bevor er das Gesicht an die Scheibe drückte und mehrfach das Maul auf und zu machte.
Wie immer staunte Grace, dass das Tier noch am Leben war. Er hatte den Fisch vor elf
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