Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
meistens innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Ansonsten aber ist er unversehrt. Die Fische und Krustentiere legen erst nach etwa einer Woche los, wenn das Fleisch zerfällt.«
»Danke.«
Grace schaute durchs offene Fenster. Auch das Fenster an der Beifahrerseite war geöffnet, ebenso die Hintertüren. Damit das Fahrzeug schneller sank?
Obwohl die Leiche durch Gase aufgebläht war, war das Gesicht noch schmal, mit Schlamm verschmiert, die Augen waren weit aufgerissen und blickten entsetzt. In Wirklichkeit sah Ewan Preece noch blasser aus als auf den Fotos, und das Haar klebte verfilzt an der Kopfhaut. Dennoch war er eindeutig zu erkennen.
Da waren die Messernarbe unter dem rechten Auge, die dünne Goldkette um den Hals und das Lederarmband. Dennoch mussten sie den endgültigen Beweis durch Fingerabdrücke oder DNA-Proben erbringen. Auf eine Identifizierung durch irgendeinen kriminellen Verwandten vertraute Grace nicht. Dann schaute er sich die Hände des Toten an.
Preece hielt das Lenkrad mit grimmiger Entschlossenheit umklammert, als hätte er geglaubt, sich damit retten zu können.
Das allerdings ergab keinen Sinn.
»Der Totengriff«, sagte eine weibliche Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um und entdeckte Sergeant Lorna Dennison-Wilkins, die die Specialist Search Unit leitete.
»Lorna, wie geht es Ihnen?«
Sie grinste. »Unterbesetzt, unterschätzt und höllisch viel zu tun. Wie ist es bei Ihnen?«
»Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund.« Er deutete auf den Toten, wobei ein seltsames metallisches Schaben im Wagen ertönte. »Totengriff?«
»Leichenstarre. Das plötzliche Eintauchen ins Wasser beschleunigt sie stark. Wenn jemand ertrinkt und sich in diesem Augenblick an etwas festhält, ist es sehr schwer, die Finger zu lösen.«
Er schaute wieder auf die Hände von Preece. Die Finger lagen eng um das Lenkrad.
»Wir haben noch nicht versucht, sie zu lösen, um keine Spuren zu zerstören.«
Aus Erfahrung wusste Roy Grace, wie viel Wert diese Frau darauf legte, einen möglichen Tatort nicht zu kontaminieren. Warum aber hielt sich Preece am Steuer fest? War er vor lauter Entsetzen erstarrt? Grace wusste nur eins: Wäre er selbst von einem Hafenkai ins Wasser gefahren, hätte er alles nur Erdenkliche versucht, um sich aus dem Wagen zu befreien.
Oder war Preece durch den Aufprall bewusstlos geworden? Denkbar. Am Kopf war auf den ersten Blick nichts zu erkennen, und der Mann war angeschnallt, aber die Rechtsmediziner würden das bei der Autopsie genauer feststellen können. Welchen anderen Grund hätte er haben sollen, sich am Lenkrad festzuklammern? Wollte er ertrinken? Allerdings war Ewan Preece nicht gerade der geeignete Kandidat für einen Selbstmord. Nach dem, was Grace über ihn wusste, interessierte sich Preece einen Scheißdreck für andere Menschen. Es war kaum zu glauben, dass er sich wegen eines toten Radfahrers hätte umbringen wollen. Außerdem stand seine Entlassung kurz bevor.
Grace zog sich Latexhandschuhe über, beugte sich durchs Fenster und versuchte, den rechten Zeigefinger des Toten vom Lenkrad zu lösen. Er rührte sich nicht. Eine winzige Krabbe, nicht größer als ein Fingernagel, huschte über das Armaturenbrett.
Wieder erklang das seltsame metallische Geräusch aus dem hinteren Bereich des Wagens. Noch einmal versuchte er, den Finger zu lösen, vergeblich.
»Da hol mich doch!«, rief Keith Wadey plötzlich.
Der Hafenleiter beugte sich zur Hintertür herein. Kurz darauf richtete er sich auf, in der Hand einen großen schwarzen Hummer. Er war fast sechzig Zentimeter lang, mit Scheren wie Männerhände, und zappelte wie wild.
»Was für ein Prachtkerl!«, rief Wadey den Leuten von der Specialist Search Unit zu.
Sofort schauten alle zu ihm.
»Hat vielleicht jemand Lust, seinen Liebsten heute Abend Hummer Thermidor zu servieren?«
Er erntete nur angewiderte Blicke und Ausrufe.
Also warf er das Tier zurück in den Kanal, wo es sofort in der Tiefe verschwand.
53
NACHDEM SIE AM TELEFON mit Roy Grace und Tracy Stocker gesprochen hatte, würde die Rechtsmedizinerin des Innenministeriums die Leiche vor Ort untersuchen. Bis sie aus London da wäre, würde es noch eine Weile dauern, so dass sich das Team auf eine längere Wartezeit im kalten Hafen gefasst machte.
Nadiuska de Sancha würde zu ihnen kommen, was die Stimmung sofort hob. Die eindrucksvolle rothaarige Spanierin war nicht nur fachlich versiert, schnell und äußerst hilfsbereit, sondern auch sehr schön.
Sie war Ende
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