Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
Höhlen, als er begriff, dass etwas nicht stimmte. Dann tauchte eine Hand auf und riss ihm das Klebeband vom Mund. Preece jaulte auf vor Schmerz und drehte den Kopf zur Tür. Er sprach mit jemandem, der nicht im Bild zu sehen war. Seine Stimme klang unverschämt, aber auch ängstlich.
»Wer sind Sie? Was machen Sie hier? Scheiße, was machen Sie hier?«
Die Fahrertür wurde zugeschlagen.
Nun sah man den Lieferwagen wieder von außen. Eine Gestalt in einem Kapuzenpullover, der das Gesicht verbarg, fuhr mit einem Gabelstapler heran, steuerte ihn bis zum Heck des Wagens, rammte ihn und schob ihn langsam, aber sicher zur Kante des Kais.
Dann kippte der Lieferwagen plötzlich nach vorn, die Vorderräder hingen in der Luft, der Unterboden kratzte mit einem metallischen Geräusch über die Steine.
Nun sah man wieder das Wageninnere. Ewan Preece quollen die Augen aus dem Kopf, und er schrie: »Nein, nein! Was soll das? Sagen Sie mir doch, was Sie von mir wollen! Bitte! Verfluchte Scheiße, sagen Sie’s mir!« Dann kippte er im Gurt nach vorn, und sein Mund öffnete sich zu einem langen, lautlosen Schrei, als könnte er vor lauter Entsetzen kein Wort hervorbringen.
Schnitt ins Innere. Der Gabelstapler versetzte dem Lieferwagen einen letzten Stoß, und das Heck verschwand über der Kante. Man hörte ein lautes Klatschen.
Der Lieferwagen trieb auf den Wellen. Er kippte nach vorn und versank langsam und stetig inmitten eines Meeres aus Luftblasen.
Blende zur Innenkamera. Preeces Gesicht war von Entsetzen erfüllt. Verzweifelt bemühte er sich, die Hände frei zu bekommen – warf sich vor und zurück und strampelte im Gurt, zuckte mit Armen und Schultern, den Mund verzerrt, bebend vor Entsetzen. »Bitte … bitte … bitte … Helfen Sie mir! Helfen Sie mir! So helfen Sie mir doch!«
Eine lange Außenaufnahme zeigte, wie sich der Lieferwagen allmählich in Richtung Kai drehte. Preece wand sich wie ein Gummimensch zum offenen Fenster, während der Wagen tiefer sank und das Wasser hereinschwappte.
Dann wechselte die Perspektive wieder ins Innere. Man hörte ein lautes, gedämpftes Donnern. Dunkles Wasser mit weißen, schäumenden Blasen flutete herein. Es stieg rasch, bedeckte bereits die Brust des Mannes. Er warf sich immer noch hin und her, wollte sich verzweifelt befreien und wimmerte nur noch leise.
Das Wasser reichte ihm schon bis zum Kinn, dann zum Ohr und stieg rasch weiter. Sekunden später erreichte es seinen Mund. Er spuckte Wasser aus. Dann tauchte sein Mund unter. Verzweifelt warf er den Kopf zurück, um das Kinn aus dem Wasser zu heben. Er schrie erbärmlich: »Hilfe. Helft mir doch!«
Doch das Wasser stieg unerbittlich, verschlang seinen Hals, stieg wieder bis zum Kinn. Er schleuderte den Kopf hin und her.
Tooth trank einen Schluck Kaffee, zündete sich die nächste Zigarette an und schaute gleichgültig zu. Er hörte, wie der Mann atmete, tief die Luft einsog, als wollte er sich einen Vorrat anlegen.
Dann erreichte das Wasser die Decke des Lieferwagens. Sein Kopf zuckte, die Augen waren weit geöffnet. Das Bild verschwamm. Ein Strom von Blasen schoss aus seinem Mund. Das Zucken wurde langsamer, hörte auf, und Preeces Kopf bewegte sich sanfter, wiegte sich mit der Strömung.
Die letzte Aufnahme kam wieder von außen. Sie zeigte das Heck des Lieferwagens, das mit geöffneten Türen unter die tintenschwarze Wasseroberfläche sank. Blasen stiegen auf, dann schlugen die Wellen wie Vorhänge darüber zusammen.
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DER AUTOPSIERAUM IM LEICHENSCHAUHAUS war kürzlich auf die doppelte Größe erweitert worden, damit mehrere Leichen gleichzeitig für die Autopsie vorbereitet werden konnten. Außerdem waren die Kühlfächer durch neue Modelle ersetzt worden, da es immer mehr stark übergewichtige Personen gab.
Roy Grace hatte den alten Raum klaustrophobisch gefunden. Vor allem wenn ein Rechtsmediziner des Innenministeriums die Untersuchung durchführte, wurde es besonders voll. Immerhin hatten sie jetzt ein bisschen mehr Platz. Dennoch fand er den Raum mit den gekachelten Wänden und der nackten, kalten Beleuchtung nach wie vor gruselig.
Während der Ausbildung hatte ihnen ein Lehrer einmal den Moralkodex des FBI vorgelesen, der von dessen erstem Direktor J. Edgar Hoover aufgestellt worden war:
Es gibt keine größere Ehre oder tiefere Verpflichtung für einen Beamten, als wenn man ihm die Ermittlung über den Tod eines menschlichen Wesens anvertraut.
Grace hatte die Worte nie vergessen und trug die Last
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