Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
bei jedem Fall, den er als Ermittler leitete. Gleichzeitig spürte er aber auch andere Emotionen. Wie immer begleitete ihn eine leise Traurigkeit, weil ein Leben verlorengegangen war – selbst wenn es das eines Scheißkerls wie Ewan Preece gewesen war. Wer wusste schon, was aus ihm hätte werden können, wenn ihm das Leben nicht einen so hoffnungslosen Start beschert hätte?
Trotz seines Verantwortungsgefühls kam sich Grace manchmal aber auch wie ein Eindringling vor. Als Leiche dort vor aller Augen aufgeschnitten und ausgebreitet zu liegen, war der ultimative Verlust der Privatsphäre. Dennoch hatten die Toten oder ihre Angehörigen kein Mitspracherecht. Wenn man unter fragwürdigen Umständen starb, war eine Autopsie unumgänglich.
In diesem Augenblick bot Ewan Preece einen geradezu surrealen Anblick. Er lag auf dem Edelstahltisch, noch mit Jeans und T-Shirt bekleidet, die Hände um das schwarze Lenkrad geklammert, das auf Anweisung von Nadiuska De Sancha aus dem Lieferwagen ausgebaut worden war. Er sah aus, als steuerte er noch im Tod ein geisterhaftes Fahrzeug.
Auf dem Tisch gegenüber waren die blutigen Organe einer anderen Leiche für einen Studenten ausgebreitet, der von einem weiteren Rechtsmediziner unterrichtet wurde. Wie immer wurde Grace übel von dem Gestank nach Desinfektionsmitteln, Blut und verwesenden menschlichen Innereien. Er warf einen flüchtigen Blick auf Gehirn, Leber, Herz und Nieren und die elektronische Waage im Regal. Auf einem dritten Tisch lag die Leiche, der man sie entnommen hatte – eine ältere Frau mit alabasterweißer Haut.
Er schauderte und trat näher an Preece heran, wobei sein grüner Kittel raschelte. Nadiuska zupfte mit einer Pinzette sanft an einem Finger. Der Fotograf machte seine Runde um die Leiche. In einer Ecke stand Glenn Branson und telefonierte. Mit seiner Frau oder seinem Anwalt?, fragte sich Grace.
Cleo und ihr Assistent Darren standen bereit, um der Rechtsmedizinerin zu helfen, hatten im Augenblick aber nichts zu tun. Cleo schaute gelegentlich zu Grace herüber und lächelte.
Er überlegte. Preece war ermordet worden, jemand hatte seine Hände ans Lenkrad geklebt. Aber die Kamera im Fahrzeug warf Fragen auf. Hatte der Mörder sie dort angebracht? Irgendein sadistischer Bekannter von Preece, der sein Versteck gekannt hatte?
Oder war die ganze Sache vielleicht noch düsterer? Die Mafiaverbindung ließ ihm keine Ruhe. Konnte es ein Vergeltungsschlag sein?
Noch war die Leiche nicht offiziell identifiziert worden, das mussten die Mutter oder Schwester des Toten übernehmen. Nadiuska hatte erklärt, sie könne den Sekundenkleber mit Aceton auflösen, so dass man Fingerabdrücke nehmen konnte. Außerdem würde eine DNA-Analyse durchgeführt. Das Gefängnis hatte bereits anhand der Tätowierungen und der Narbe im Gesicht die Identität des Toten bestätigt.
Nur das Team aus dem Hafen und die Leute im Leichenschauhaus wussten, dass die Hände des Mannes ans Lenkrad geklebt worden waren. Grace hatte vor, die Information zunächst vertraulich zu behandeln. Falls sie in den nächsten Stunden an die Presse gelangte, wüsste er jedenfalls, wo er nach der Schwachstelle suchen musste.
Er verließ den Autopsieraum und rief Norman Potting in der Soko-Zentrale 1 an. Er sollte mit einigen Kollegen herausfinden, wo in Brighton und Umgebung zuletzt eine solche Kamera gekauft worden war.
Dann rief er Detective Investigator Pat Lanigan an, seinen Verbindungsmann zu den Reveres, und erkundigte sich, ob die Eltern des toten Jungen seiner Ansicht nach so weit gehen würden, einen Auftragskiller anzuheuern.
Lanigan erklärte, dass sie das Geld, die Macht und die nötigen Verbindungen besaßen – und dass für Leute wie sie vollkommen andere Regeln galten. Er würde versuchen, etwas herauszufinden. Manchmal bekam die Polizei Wind von solchen Mordaufträgen. Er versprach, sich so bald wie möglich bei Grace zu melden.
Er legte schweren Herzens auf. Plötzlich hoffte er, dass Preece von irgendeinem Kleinkriminellen aus der Gegend getötet worden war. Die Vorstellung, einen Mafiakiller mitten in Brighton zu haben, war für niemanden angenehm – weder für die Tourismusbehörde noch für seinen Chef oder ihn selbst.
Er setzte sich auf ein Sofa in dem kleinen Büro, goss sich einen abgestandenen Kaffee aus der Kanne ein, die auf einer Warmhalteplatte stand, und spürte, wie eine heftige Entschlossenheit in ihm aufstieg. Lanigan hatte gesagt, dass für diese Leute vollkommen
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