Riley - Im Schein der Finsternis -
Schaden erleiden konnte, seit ich tot war.
»Nimm.« Er streckte mir die Tasse entgegen und griff dann selbst nach einer. Dann ließ er sich mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung auf dem blau gemusterten Kissen nieder und klopfte auf das orangefarbene mit dem großen Strahlenkranz darauf, das neben ihm lag. »Jetzt setz dich«, befahl er.
Ich würde mich hüten.
Mir war klar, dass ich die Gelegenheit nützen sollte, um schnell abzuhauen. Ich sollte Vorteil aus meiner Nähe zum Eingang ziehen und türmen, solange ich noch konnte.
Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund saß ich plötzlich direkt neben ihm. Gehorsam verschränkte ich meine Beine und legte meine Hände um die warme Tasse.
Er blies auf die Flüssigkeit, wahrscheinlich nicht, weil es notwendig war, sondern aus Gewohnheit und um eine rituelle Handlung zu vollziehen, und starrte auf das Meer hinaus. Sehr lange. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, und ich wurde allmählich ziemlich unruhig. Die ganze Situation begann mir auf die Nerven zu gehen. Eine dumme Teeparty, wie sie Alice im Wunderland mit dem verrückten Hutmacher erlebt, würde mir mit Sicherheit nicht helfen, meine Freunde zu befreien. Im Gegenteil – es war lediglich eine riesige Zeitverschwendung.
Ich wollte ihm gerade meine Gefühle schildern, als er mich ansah. »Trink«, befahl er. Da ich seinen bisherigen Aufforderungen gefolgt war, glaubte er wahrscheinlich, dass ich ihm auch jetzt blindlings gehorchen würde.
Aber ich hatte genug davon, mich herumkommandieren zu lassen. Keine Lust mehr, mich behandeln zu lassen, als wäre ich ein Untertan an seinem Königshof.
»Trink« , wiederholte er eindringlich.
Ich versuchte, seinem Blick auszuweichen, aber es gelang mir nicht.
Ich versuchte, aufzustehen und wegzugehen, aber auch dazu war ich nicht in der Lage.
Es war so, als hielten mich seine Augen fest, als lähmte mich sein Blick auf irgendeine seltsame Weise. Und je mehr ich versuchte, mich dagegen zur Wehr zu setzen, umso mehr begriff ich, wie sinnlos das war.
Wieder sprach er das Wort aus.
»Trink.«
Sein starrer Blick vertiefte sich, während er einen losen Faden von seinem Gewand zupfte und ihn in meine Tasse fallen ließ.
Der Anblick löste Ekel in mir aus, und das ließ ich ihn mit einem Aufschrei wissen. Trotzdem hoben sich meine Hände wie durch einen Zauber und schwebten von meinem Schoß zu meinem Mund. Ich setzte die Tasse an die Lippen und ließ die Flüssigkeit in meinen Mund rinnen.
Trink.
Das Wort wirbelte immer wieder durch meinen Kopf, vernebelte meine Gedanken, meine Sicht und meinen Willen – bis mir die Tasse aus den Fingern glitt, nachdem ich sie geleert hatte, und mein Körper zu Boden fiel.
ZEHN
I ch war von Nebel umgeben. Von dichtem, weißem, schimmerndem Nebel.
Angestrengt versuchte ich, durch ihn hindurchzusehen. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass sich auf der anderen Seite ein Ort befand, an dem ich sein sollte.
Irgendein wichtiges Ziel, zu dem er mich unbedingt bringen wollte.
Ich schob mich voran, fuhr mit den Händen durch die Luft, um mir freie Sicht zu verschaffen, indem ich den Dunst wegschlug. Meine ersten Versuche zeigten keinerlei Erfolg. Tatsächlich schien der Nebel dadurch sogar noch dicker zu werden, aber dann begann er, sich nach und nach zu verziehen, bis ich schließlich vor einem einfachen, aber trotzdem sehr beeindruckenden Schloss stand, einer Art Festung mit einer massiven Steinmauer rundherum.
»Ist es das? Wolltest du mir das zeigen?« Ich warf Prinz Kanta einen Blick über die Schulter zu und sah, dass er bestätigend nickte.
Und irgendetwas an der Art, wie er es betrachtete, an der Art, wie er seine Augen zusammenkniff und wie sein Kehlkopf sich leicht auf und ab bewegte – an der Art, wie er ganz stumm und still dastand –, sagte mir, dass es zumindest für ihn mehr war als irgendein alter Palast, über den wir zufällig gestolpert waren.
Sein Gesicht trug einen Ausdruck, den ich nur allzu gut kannte.
Es war der gleiche Ausdruck, den mein Gesicht manchmal trug, wenn ich mich in den Aussichtsraum schlich, mich in eine der Kabinen stahl, mich darin auf einem der harten Metallhocker niederließ, meinen gewünschten Ort eingab und das Alltagsleben meiner Schwester und meiner Freunde auf der Erdebene verfolgte.
Der Ausdruck einer unüberwindbaren Sehnsucht.
Der Ausdruck, den dein Gesicht annimmt, wenn du begreifst, dass das, was du am meisten auf der Welt geliebt hast, niemals dir gehören
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