Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
Spielen oder so. In zwei Stunden schafft man es ja kaum, außer Atem zu kommen. Im Winter bleiben wir drinnen und machen Gymnastik. Gymnastik bringt mich um! Ringe, Barren, Pferd, ich hasse das. Erstens finde ich diese Dinge an sich schon total idiotisch, und zweitens habe ich nicht besonders viel Kraft in den Armen. Es gibt Typen, die schwingen sich an den Ringen hin und her wie die Affen und drehen sich um sich selbst und solche Geschichten.Ich dagegen schaffe es nicht einmal, mich hochzuhieven, ohne dass ich denke, ich kugele mir gleich die Arme aus. Es ist eine verdammte Demütigung, weil alle einem dabei zugucken, während man da wie ein Trottel in bescheuerten Shorts rummacht. Auch die Mädchen gucken zu, und weil alle Parallelklassen zusammen Sportunterricht haben, sind Mélanie und ihre Deutschklasse ebenfalls mit von der Partie. Sie sieht natürlich wunderschön aus in Shorts; wenn sie so an einem vorbeischwebt, will man sofort auch welche haben. Die Schüler, die Deutsch lernen, haben wirklich Kraft in den Armen. Sie hangeln sich mit einer Hand am Seil hoch, und man sieht ihnen die Anstrengung nicht an. Ich hingegen muss immer mit den Füßen nachhelfen und noch dann ächze und stöhne ich wie verrückt – man könnte meinen, ich säße auf der Toilette.
So ist es im Winter.
Im Sommer sieht die Sache anders aus. Dann sind wir draußen und laufen unsere Runden um den Fußballplatz. Am Anfang des Schuljahrs geht es langsam los, mit ein, zwei Runden. Doch je mehr Wochen ins Land gehen, desto öfter rennen wir um dieses blöde Feld. Ich habe ausgerechnet, dass, wenn das so weitergeht, uns am Ende des Schuljahres die zwei Stunden gar nicht reichen werden, um die Zahl der Runden zu laufen, die sie uns abverlangen. Als hätten sie es darauf abgesehen, uns zu armen Irren zu machen. Angeblich trainieren wir damit für den Marathon im Juni. Alle Schulen der Stadt nehmen daranteil. Er findet in einem Park in der Nähe des Rathauses statt. Eine Schafherde von mindestens hunderttausend Schülern, die um die Wette rennen. Letztes Jahr habe ich mir die Veranstaltung zusammen mit meiner Mutter angesehen. Ich erinnere mich daran, dass ich tiefstes Mitleid empfunden habe. Ein paar Jungs hatten sich am Startpunkt aufgestellt, um den Läufern nach der nächsten Runde einen Stempel auf die Hand zu drücken, zum Beweis dafür, dass sie auch vorbeigekommen sind, und um den armen Teufeln Wasser ins Gesicht zu schütten – zur Erfrischung und damit sie nicht abkratzen. Zwischendurch hörte sich das dann so an:
»Schneller, du Fettsack … Leg mal ’nen Zahn zu! He, Nummer achtzehn, wenn du ins Ziel einläufst, schlag ich dir den Schädel ein!«
Die Läufer fanden das nur bedingt witzig.
Einer der Jungs am Rand leerte eine kleine Wasserflasche aus, füllte sie mit Wodka und gab sie einem der Läufer. Der Typ trank den Wodka, ohne mit der Wimper zu zucken, er merkte nicht einmal den Unterschied, so fertig war er. Bei der nächsten Runde gaben sie ihm noch mal davon zu trinken. Zum Schluss war der Kerl so sternhagelvoll, dass er nicht mehr geradeaus laufen konnte, sich fürchterlich übergeben musste und zusammenbrach.
Wenn ich daran denke, dass ich diesen Marathon am Ende des Schuljahres auch laufen muss, bekomme ich jetzt schon schlechte Laune.
Wenn während des Sportunterrichts schönes Wetter ist,spielen wir auch mal Fußball. Da blühe ich dann auf! Die Parallelklassen spielen gegeneinander. Und ich will ja nicht angeben, aber unsere ist einfach die beste. Karim und Yéyé sind göttlich, sie haben schon so viel Zeit auf der Straße mit einem Fußball zugebracht, dass wir anderen zwei Leben brauchten, um das aufzuholen. Die schießen jeder mindestens zehn Tore in einem Spiel. Ich schlage mich ganz wacker auf den Flügeln, habe zwar nicht viel Ausdauer, bin dafür aber ein erstklassiger Sprinter. Ich laufe ganz plötzlich los und versuche mit dem Ball bis vorne durchzukommen – was zählt, ist die Ballführung, stundenlang arbeite ich daran beim Training. Dann brauche ich nur am rechten Abwehrspieler vorbeizudribbeln und eine wunderschöne Flanke zu schlagen. Normalerweise zielt Karim auf das Torkreuz und platziert einen Kopfball, oder Yéyé befördert den Ball mit einem Volleyschuss am Pfosten entlang ins Tor.
Während ich hinter der Sporthalle vorbeimarschierte und mir all das durch den Kopf ging, fingen meine Beine auf einmal an zu laufen, als hätte ich einen unsichtbaren Fußball. Das passiert mir oft. Ich
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