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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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Nicht, dass dort eine einzige rosa Palme stehen würde, ehrlich gesagt steht überhaupt keine Palme dort. Palmen sind nicht die Art von Bäumen, die man bei uns in der Gegend findet. Hier gibt es eher so was wie Platanen, Pappeln und alles, was die Kälte aushält, die Hundepisse, das Grau, das Einritzen von Inschriften … und vor allem die Gleichgültigkeit. (Ich glaube ja, der Name stammt von einem Junkie, der im Vollrausch rosa Palmen auf diesem Platz hat wachsen sehen.)
    Girlanden werden aufgehängt, ein Podium für das Orchester errichtet, eine Tanzfläche und lange Tische, an denen die vielen Menschen Platz nehmen können, die für ihr Abendessen bezahlt haben. Meine Mutter reserviert immer drei Plätze. Für meinen Bruder, für mich und für sie selbst. Am Anfang sitzen wir beisammen, dann steht zuerst mein Bruder auf und streunt herum, später gehe auch ich zu meinen Kumpels. Aber meine Mutter ist nie allein. Letztes Jahr hat sie mehrmals mit Monsieur Zanreno getanzt, einem Witwer, der in einem Häuschen in der Rue des Oliviers wohnt. Ich war total vor den Kopf gestoßen. Wieder zu Hause, im Aufzug, machte ich ein so finsteres Gesicht, dass meine Mutter, die in mir liest wie in einem offenen Buch, zu mir sagte:
    »Bist du mir böse, weil ich mit Zanreno getanzt habe?«
    Nein, wollte ich erwidern, doch stattdessen brach ich in Tränen aus.
    Sie schloss mich in ihre Arme und drückte mich fest an sich.
    »Ich wollte doch auch ein bisschen Spaß haben, und ich mag Zanreno sehr gern, aber er ist nur ein Freund, das ist alles.«
    Das klang schon besser.
    Gleich am nächsten Tag hat mich mein Bruder Henry in die Seite geboxt:
    »Warum hast du Maman wegen Zanreno angemacht – hat sie nicht das Recht zu tanzen?«
    »Ich hab doch gar nichts gesagt!«
    »Nein, aber du hast dich aufgeführt wie eine Heulsuse.«
    »Ich kann nichts dafür!«
    »Lass Maman in Frieden, ja? Sie darf sich auch mal ein bisschen amüsieren.«
    »Ist gut.«
    Das sagte ich, damit er mich in Ruhe ließ, aber ich weiß genau, wenn ich meiner Mutter noch mal beim Tanzen zusehen muss, wird es mir wieder so ergehen.
    Ich kann nichts dafür, ich bin nun mal eifersüchtig.
     
    Punkt Mitternacht wird das Feuerwerk auf dem Dach des Rimbaud-Turms gezündet.
    Die Erwachsenen hören auf zu tanzen und zu trinken, die Kleinen zu spielen, die Junkies zu fixen, die zu Hause gebliebenen Anwohner lehnen sich aus dem Fenster, und alle schauen auf zum Himmel, an dem Tausende Farben explodieren. Es ist vielleicht nicht das größte Feuerwerk der Welt, aber beeindruckend ist es dennoch. Und wirsind auch alle ein bisschen stolz darauf. Es müssten bloß öfter welche stattfinden, die Leute sind immer so fröhlich danach. Wenn ich Präsident wäre oder so, ich würde jedes Mal, wenn ich eine Dummheit gemacht hätte, ein Feuerwerk zünden lassen. Das erzählte ich neulich Monsieur Colas, unserem Geschichtslehrer, und wissen Sie, was er geantwortet hat?
    »Weißt du, Charly, wenn man das täte, was du sagst, gäbe es jede Nacht ein Feuerwerk, und sogar tagsüber, und am Jahresende müssten wir gucken, wo wir für teures Geld unsere Knallfrösche herkriegen, und obendrein bestimmt noch eine Steuer darauf entrichten.«
    Ich liebe Monsieur Colas, er hat sich nie verbiegen lassen. Und während des Unterrichts sagt er Sätze wie:
    »Das Leben ist eine lange Krankheit, die zum Tod führt …«
    Oder auch:
    »Ein Erwachsener ist ein groß gewordenes Kind.«
    Ich weiß nicht, weshalb er das sagt, aber mir geht immer ein Licht dabei auf.
     
    Um das Thema Karneval abzuschließen, wollte ich noch erzählen, dass der Umzug um zwei Uhr nachmittags am Rathaus beginnt und am Platz der rosa Palmen endet. Nur im letzten Jahr war es anders, da war im Parc Colette Schluss, weil dieser gerade eingeweiht worden war. Damals lautete das Motto »Kino«, die Wiesen waren bevölkert mit unzähligen Darth Vaders, Marilyns und Charlie Chaplins– ein Gruselkabinett: Marilyn sah wie ein Schreckgespenst aus, und Charlie Chaplin erinnerte an Hitler. Casanova hatte lediglich seine Boxhandschuhe anbehalten und behauptete, Rocky Balboa zu sein; die Bissanis hatten sich als
Die Strandflitzer machen Ferien
verkleidet.
    Aber wir hatten trotzdem unendlich viel Spaß, und an einem solchen Tag will auch keiner dem anderen die Laune verderben.
     
    In der Mitte des Parks gibt es ein Karussell. Dort treffe ich mich häufig mit meinen Freunden. Wir setzen uns auf die Bänke drum herum und schauen zu, wie die

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