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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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sich so darstellte. Aber auch ehrlich. Es gibt nicht viele Leute, die dazu stehen, wie sie wirklich sind.
    Wenn ich mich selber malen müsste, würde ich wahrscheinlich ein wenig angeben und mich als Supertyp darstellen, der die ganze Zeit Spaß hat.
    Ich blieb während des ganzen Museumsbesuchs mit Brice zusammen, er war superinteressiert an allem, was normal ist, weil er selbst ja ständig zeichnet.
    Wir haben Hunderte von Bildern gesehen. Und Zeichnungen. Skulpturen. Töpferwaren. Teller. Picasso malte auf alles, was ihm zwischen die Finger kam. Bei ihm musste immer alles schön bunt sein. Wenn er einen hässlichen weißen Teller kaufte, bemalte er ihn, und es wurde ein Picasso-Teller daraus.
    Die Bilder, die uns am besten gefielen, waren die kubistischen. Mann, diese Bilder haben uns umgehauen! Es sind Porträts, wie das vom Anfang, aber mit bizarren Formen, voller Quadrate und Rechtecke. Auf einem waren zwei Frauen, eine Mutter und ihre Tochter. Sie hätten ihre Gesichter sehen sollen. Die sahen aus wie frisch ausder Klinik. Ein Lehrer aus einer anderen Klasse erklärte lautstark, der Kubismus hätte die Geschichte der Malerei verändert. Das glaube ich gern, denn um so zu malen, muss man wirklich anders sein. Als wir vor dem Bild mit den zwei Frauen standen, sagte Karim zu Yéyé, die alte Frau sähe aus wie seine Mutter. Yéyés Mutter sieht tatsächlich ziemlich kubisch aus, vor allem, wenn ihr Mann sie verkloppt. Seit unserem Museumsbesuch verwenden wir den Ausdruck
kubisch
sehr häufig.
    Wenn man zum Beispiel über ein Mädchen spricht:
    »Wie findest du die?«
    »Kubisch.«
    Oder wenn man aufsteht und völlig fertig ist:
    »Mann, bin ich heute Morgen kubisch.«
    Irgendwann warf Nicolas Gasser plötzlich ein, sein Vater hätte einen Picasso.
    »Dein Vater hat doch keinen Picasso!«
    »Doch … Einen Citroën!«
    Wir haben uns weggeworfen vor Lachen, weil es stimmte: Sein Vater hatte einen Citroën Picasso. Dann lachten wir aber auch, weil wir es bescheuert fanden, dass man ein Auto so nennt. Das ist wie mit der Cité Picasso. Dadurch soll es schöner wirken.
    Als wir wieder draußen waren, machten wir auf einem Platz in der Nähe eine kleine Imbisspause. Auf der Place des Vosges. Wir waren total überwältigt. Es sah aus wie das Paradies. In der Mitte des Platzes stand ein großer Brunnen mit wunderschönen Statuen, aus deren MundWasser kam. Das Wasser war überhaupt nicht eklig. Leute, die auf Bänken saßen, lasen Bücher, kleine Jungs spielten Verstecken hinter den Bäumen. Wir setzten uns auf einen Rasen und verdarben den Paradies-Eindruck wohl ein wenig. Vor allem, als alle ihr mitgebrachtes Brot aus der Alufolie wickelten.
    Da es Winter war, wurde es zeitig dunkel, und als wir wieder im Bus saßen, der uns in die Cité zurückbringen sollte, wirkte Paris noch zauberhafter auf mich. Ich betrachtete die Leute auf den Bürgersteigen und dachte, dass sie großes Glück hatten, hier wohnen zu dürfen. Falls Sie in Paris wohnen, wissen Sie, wovon ich spreche. Das ist so, als würden Sie im Musée Picasso wohnen und wären von seinen Bildern umgeben.
    Ich betrachtete die Gebäude. Die Eingangstüren. Die Kaufhäuser. Die Brücken. Die Straßenschilder. Straßenlaternen. Parks. Kinos. Theater. Cafés. Restaurants. Und ich wäre gern noch länger geblieben, um all das genießen zu können.
    Ich weiß nicht, was mal aus mir werden wird, aber ich weiß, wo ich wohnen möchte. In Paris. Ich würde den ganzen Tag durch die Straßen spazieren. Und abends würde ich von den Brücken aus der untergehenden Sonne zuschauen.
    Nachts ist Paris orange. Und man fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. Man meint, das Geräusch von Pferden und Kutschen zu hören, und zugleich sieht man die Flugzeuge am Himmel.
    Der Bus fuhr über die Autobahn, um in unsere Banlieue zu gelangen.
    Ich dachte an Picassos Bilder.
    Sie fehlten mir.
    Und ich wollte in Paris leben, um in ihrer Nähe zu sein.
     
    Ich stand vor der Bäckerei bei der Schule. Drinnen entdeckte ich eine Frau, die ich vom Sehen kannte, weil sie die Mutter eines Schülers aus meiner Parallelklasse ist. Sie wollte ihren Sohn abholen und kaufte ihm etwas Süßes. Das gab mir einen Stich ins Herz, weil ich an meine Mutter denken musste und daran, wie oft sie mir hier etwas Süßes gekauft hatte. Aber das war vor allem, als ich noch zur Grundschule ging, von daher konnte ich mich zusammenreißen.
    Von Henrys fünf Euro habe ich mir einen Eistee gekauft und ein
Tout Choc
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