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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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Sicherheit irgendwann dorthin gebracht.«
    »Wie heißt dieses Ding, dieses Gefängnis für …«
    »Abschiebehaft.«
    Das Wort machte mir Angst. Es ließ mich an Krieg denken. Ich musste es mir trotzdem hundert Mal stumm vorsagen, um es mir zu merken. Abschiebehaft, Abschiebehaft, Abschiebehaft, Abschiebehaft, Abschiebehaft, Abschiebehaft, Abschiebehaft … Ich verstand die Bedeutung nicht, für mich klang es auch nach
haften
. Seltsam, dass Leute, die man loswerden will, an etwas haften sollen.
    »Was muss ich tun, Henry?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Was würdest du denn an meiner Stelle tun?«
    »Ich würde Maman suchen gehen.«
    »Warum?«
    »Weil du noch ein Baby bist.«
    »Blödmann!«
    Henry schaute mich erstaunt an. Das kann er gut. Erst einen auf die Palme bringen und sich dann wundern, wenn man ihn beleidigt.
    »Glaubst du, ich schaffe es nicht, mich allein durchzuschlagen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Du wirst schon sehen! Ich brauche niemanden … Maman wird mir fehlen, aber ich schaffe es auch ohne sie. Außerdem, dass sie heute Morgen auf dem Treppenabsatz so getan hat, als würde sie mich nicht sehen, hat damit zu tun, dass sie mich warnen wollte. Sie wollte sich von mir verabschieden … Hätte sie gewollt, dass ich mitkomme, hätte sie mich mitgenommen. Ich habe keineAngst, Henry, ich habe keine Angst … Du bist nicht der Einzige, der allein sein kann. Ich kann das auch, wenn ich will … Jahrelang, bis ich ein richtiger Mann bin. Du wirst schon sehen, ich komm mal ganz groß raus … Vielleicht im Kino, oder als berühmter Sänger … Du wirst mich in Filmen sehen, und dann bereust du es, dass du dich irgendwann mal über mich lustig gemacht hast. Ich hab keine Angst, Henry, ich hab vor nichts Angst … Und Maman, die werden sie in Ruhe lassen, du wirst schon sehen, die werden kapieren, was für eine Frau das ist … Die schieben doch nur Vollidioten ab … Solche wie dich! Nicht die anständigen Leute – die brauchen sie hier! Sie brauchen Maman viel zu sehr … Was du da erzählst, ist totaler Mist, das ist wie mit deinen Gespenstergeschichten, das gibt’s nämlich gar nicht … Du unterschätzt mich, ich schwör’s dir! Du denkst immer, ich würde dir jeden Mist abkaufen. Dabei bist du ein armer kaputter Drogie, die anderen haben recht … Bleib du nur hier auf deinem Erdhügel sitzen und guck zu, wie ich lebe … Wie ich zur Schule gehe. Und danach aufs Gymnasium! Guck mir auf dem Fußballplatz zu. Du wirst sehen, wie ich laufen kann. Wie ich mit meinen Kumpels Spaß habe … Wir halten zusammen wie Pech und Schwefel. Und dann guck mir zu, wie ich mit Mélanie Renoir zusammen bin, meiner Verlobten, wie sie mich liebt, ganz grün wirst du vor Neid werden … Ich dagegen werde vielleicht mal kurz den Kopf heben, wenn ich Zeit dazu habe, und dann wird er mir leidtun … Henry, der arme Idiot!«
    Ich schwieg, und Henry sah mich an. Er wirkte gar nicht böse, im Gegenteil, er wirkte sanft.
    »Ich sehe dir oft zu.«
    Ich war noch immer wütend, na ja, nicht wirklich, aber ich wollte es bleiben. Daher antwortete ich ganz cool:
    »Was?«
    »Ich beobachte dich ab und zu.«
    »Von hier aus?«
    »Nein. Von hier aus sehe ich nichts … Unten, in der Stadt. Ich sehe dich auf der Straße vorbeigehen, oder im Einkaufszentrum, dann folge ich dir ein kleines Stück, schaue, was du so treibst, mit wem du zusammen bist … Ich bin auch schon zu deiner Schule gekommen, habe mich ans Gitter vor dem Schulhof gestellt und dir während der Pause zugesehen … Ich war zum Beispiel am Anfang des Schuljahrs da. Ich habe dich gesehen, als ihr euch aufstellen musstet. Du warst ganz aufgeregt … Maman hatte dir das gelbe Hemd zum Anziehen gegeben.«
    »Oh, ich hasse dieses gelbe Hemd!«
    »Ich weiß, wer Mélanie Renoir ist.«
    »Wie kannst du das wissen?«
    »Maman hat mir von ihr erzählt, sie hat sie mir beschrieben.«
    »Es gibt tausend Mädchen in meiner Schule.«
    »Schon, aber nur eines in deiner Stufe, das sich ein Halstuch umbindet.«
    Ich war sprachlos.
    »Ich sehe dir auch beim Fußballspielen zu. Ich komme gern ins Stadion, wenn du Training hast. Vor allem im Winter, wenn sie das Flutlicht anwerfen. Ich mag dieses Licht.«
    »Warum sprichst du mich nie an oder kommst zu mir?«
    »Ich will dir nicht auf die Nerven gehen.«
    »Das fände ich aber schön. Also, manchmal …«
    »Ich bin meistens total drauf, Charly.«
    »Das ist mir egal!«
    »Ich schäme mich, wenn ich dich und Maman sehe. Weißt du, Charly, du

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