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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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Das ist eine Art doppeltes Schokoladencroissant. Ich hatte so großen Hunger, dass ich keinen Hunger mehr hatte. Wenn man zu lange wartet, vergeht der Hunger wieder, wissen Sie. Aber ich habe trotzdem das
Tout Choc
in zwei Sekunden in mich reingestopft.
    Ich lief an dem Gitter vor dem Schulhof entlang. Ich befürchtete, einem Aufseher oder einem Lehrer zu begegnen.
    Da ich eine Uhr im Kopf habe, wusste ich, dass ich zehn Minuten zu früh dran war. Ich beschloss, ein wenigan meiner Ballführung zu arbeiten. Ich hätte das Buch von Rimbaud lesen können, doch das wollte ich nicht im Freien machen. Außerdem habe ich gern viel Zeit vor mir, wenn ich anfange zu lesen.
    Ich knüllte das Papier aus der Bäckerei zu einer Kugel und dribbelte an der Bordsteinkante entlang. Ich suchte nach einem einfacheren Wort für Ballbehandlung und kam auf
autoballieren
– gar nicht übel. Jedenfalls war ich in Form, und der Ball blieb schön gerade auf der Kante. Schade, dass niemand es sehen konnte. Aber das würde sich gleich ändern.
    Die Glocke klingelte.

Vierzehntes Kapitel

16 Uhr 30
     
     
    Es war komisch, zusammen mit den Müttern meiner Mitschüler am Schultor zu stehen. Es waren mindestens fünfzig. Die meisten kennen sich. Manche geben sich sogar Küsschen zur Begrüßung. Es ist wie in einer Schulklasse. Einige Mütter sind gut gelaunt, sie sprechen mit allen und wollen einen Haufen Sachen auf die Beine stellen. Das sind so die Abgeordneten unter den Müttern. Dann gibt es die Mütter, die es eilig haben, sie kommen angelaufen, warten kurz und machen schon wieder kehrt, zerren den Kleinen am Ärmel hinter sich her und brausen davon. Es gibt schüchterne Mütter, die drei Kilometer vom Ausgang entfernt stehen und beinahe hinter dem Wartehäuschen der Bushaltestelle verschwinden. Und es gibt die Mütter, die sich total überlegen fühlen. Sie rauschen im Abendkleid an, bleiben direkt vor dem Ausgang stehen und tun so, als würden sie telefonieren.
    Und es ist auch ein Vater dabei. Der von Lucien Artel. Luciens Mutter ist gestorben, als er klein war, und von da an hat sein Vater für ihn gesorgt. Jeden Tag steht er am Tor. Manchmal stand auch eine Frau da, um Lucien abzuholen.Nach geraumer Zeit wartete aber wieder der Vater da, und da wusste man, dass seine Liebesgeschichte vorbei war. Trotzdem ist Lucien wirklich supernett, wir sind zwar nicht in derselben Klasse, aber wenn wir uns zufällig begegnen, quatschen wir immer ein wenig zusammen.
     
    Die Schüler strömten aus dem Gebäude, und diesmal war es schlimmer als in der Pause, sie wirkten alle schwachsinnig, oder so, als kämen sie aus der Hölle. Sie zerstreuten sich in alle Richtungen. Seltsamerweise fegte der Junge von der schüchternen Mutter wie ein Orkan über den Hof. Während der Junge der Mutter, die es eilig hatte, sich ganz schön Zeit ließ. Und der Junge mit der angeberischen Mutter duckte sich an der Hauswand entlang.
    Mélanies Klasse kam vor unserer heraus.
    Ich trat näher.
    Als ich sie kommen sah, schlug mein Herz wie wild.
    Ich blieb stehen und beobachtete sie. Normalerweise tue ich so, als würde ich sie nicht sehen. Doch an diesem Nachmittag war ich mutiger, oder aufrichtiger, wie der Mann auf dem Selbstporträt von Picasso.
    Ich fühlte mich wie in einem Film: in der Mitte ein unbeweglicher Mann, um ihn herum lauter Menschen. Der Mann lässt ein Mädchen nicht aus den Augen, das ihn jedoch noch nicht entdeckt hat. Eigentlich hasse ich diese Szenen. Aber diesmal war es anders, denn ich war dieser Mann.
    Zeitlupe.
    Mélanie ging an mir vorbei, und da sie spüren musste, dass ich sie ansah, warf sie mir nur hastig einen Blick zu und sagte:
    »Hallo.«
    Und ohne dass ich es wollte, antwortete ich:
    »Hallo.«
    Ein Hallo, so intensiv, als hätten wir uns geküsst. Dabei hatten wir uns nur gegrüßt – ein richtiger Kuss, das wäre dann wohl wie Sterben.
    Ich hatte kaum Zeit, darüber nachzudenken, als meine Kumpels auch schon auf mich zustürmten. Karim. Brice. Yéyé. Nicolas.
    Karim fasste mich am Arm und zog mich mit sich.
    »Die Bullen waren hier …«
    »Was?!«
    »Die Polizei, sie waren hier, als wir gerade Französisch hatten.«
    »Was wollten sie?«
    »Keine Ahnung, sie haben mit der Boulin gesprochen, die ging mit ihnen raus auf den Gang, um zu reden.«
    »Haben sie nach mir gefragt?«
    »Nein, sie wollten nur mit Madame Boulin sprechen … Als sie ins Klassenzimmer zurückkam, fragten wir sie, was los wäre, aber sie hat kein

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