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Ringkampf: Roman (German Edition)

Ringkampf: Roman (German Edition)

Titel: Ringkampf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Liebe zu Siegfried, aus Liebe zu ihrem noch ungeborenen Neffen riskiert sie, vom eigenen Vater verstoßen zu werden. Und tatsächlich läßt sie sich dann von Wotan erniedrigen, läßt sich von ihm in der Feuerburg einschläfern, nur um so auf Siegfried zu warten.« Er schaute die Sängerin trotzig an.
    Jessica Johnson-Myer warf ihre Locken zurück. Ein ironischer Zug spitzte ihr Lächeln.
    Alexander Raven spuckte seinen Kaugummi aus. Für wenige Sekunden schloß er die Augen. Er legte die Fingerspitzen aneinander, um sich zu sammeln. »Die große Idee einer Liebe«, sagte er angestrengt, »einer Liebe,
die über das eigene Leben hinausgeht: Erst Brünnhilde löst sie ein.« Er starrte stur vor sich hin. »Woran Wotan gescheitert ist, was für ihn nur Utopie war: Brünnhilde verwirklicht es. Und indem sie es verwirklicht, zeigt sie aber auch, daß diese Utopie tödlich ist. Dadurch entsteht ja erst der tiefe Fatalismus, mit dem der Ring endet. « Sein Blick ging ins Leere. »Ein Leben ohne absolute Liebe ist nicht wert, gelebt zu werden — das ist Wotans ennui , Wotans Überdruß. Eine Welt, in der die Utopie realisiert ist, kann jedoch nicht bestehen.« Er sprach so langsam, als müsse er sich seine Gedanken erst selbst erklären. »Denn die Wahrheit der absoluten Liebe ist der Liebestod. Der Weltenbrand am Schluß vom Ring ist also nicht nur die Vernichtung einer lebensunwerten Welt — wie Wotan sie geplant hat. Indem Brünnhilde das Feuer entzündet, indem sie selbst in die Flammen geht, um den Verrat zu sühnen, den Siegfried — wie all die anderen — an der Liebe begangen hat, wird der Untergang zur realisierten Utopie.«
    Alexander Raven blinzelte in die Runde, die seinen Ausführungen unterschiedlich weit gefolgt war. Cora kritzelte etwas in den jungfräulich durchschossenen Klavierauszug. Jessica Johnson-Myer trommelte mit ihren langen Fingernägeln. Jochen Sywoll war seitlich weggesackt. Gwendolyn betrachtete ihn nachdenklich.
    Der Regisseur rieb seine Schläfen, als suche er dort den Hebel, der ihn in die banale Probenwirklichkeit zurückschalten würde.

21
    In der Kantine roch es nach Bratwurst und Sauerkraut. Elli Schubert hing verschlafen hinter einem Schnapsglas. »Mädchen, was isn dir widerfahren«, gähnte sie. »Strahlst ja heute so ne fundamentale Erleuchtung aus.«
    Die Dramaturgin setzte sich. »Tag, Elli. Ich hatte das Vergnügen mitzuerleben, wie Wagner von Alexander zum feministischen Fatalisten geschlagen wurde.« Sie nahm einen ordentlichen Schluck Rotwein.
    Die Souffleuse verzog das Gesicht.
    Cora leerte ihr Glas bis zu dem Punkt, an dem man sich streiten konnte, ob es halb voll oder halb leer war, und begann gestenreich zu erklären. »Also: Alexander haterkannt, daß Wagner erkannt hat, daß Männer nicht lieben können. Weil: Immer wenn sie für eine Frau ihren Kopfriskieren wollen, stellt sich ihnen der verflixte Selbsterhaltungstrieb in den Weg. Frauen umgekehrt können lieben, weil ihr Selbsterhaltungstrieb einen vornehmen Schritt zurücktritt, wenn sie für einen Mann ins Feuer rennen. Ergo sind für Wagner Frauen die besseren Menschen. Das ist sein Feminismus. Der Liebe als solcher nützt das letztlich abernix, denn all die guten Frauen sind ja nicht mehr zu haben, wenn sie verbrannt sind. Das ist Wagners Fatalismus .«
    Ein schräges Grinsen furchte sich durch das Gesicht der Souffleuse. »Verrätste mir auch noch, was dich an diesem höheren Schwachsinn so glücklich macht?«
    Die Dramaturgin kippte ihren restlichen Wein hinunter. »Es ist gut, wenn Alexander mich von Zeit zu Zeit daran erinnert, warum es mit uns schiefgegangen ist«,
sagte sie. »Ich war schon fast wieder dabei, seinem verkrachten Charme zu erliegen.«

22
    Die Schmuckschatulle war anklagend aufgeklappt. Ein schmaler goldener Ring stach aus rotem Samtpolster hervor.
    Alexander Raven hob seine Hände. »Elisabeth, ich sage dir doch: Ich habe keine Ahnung, was dieser Unfug soll. Jawohl, ich habe meinen Ehering in letzter Zeit öfter mal ausgezogen. Weil ich mich an dieserverdammten Kante ständig geschnitten habe. Ich muß ihn irgendwo im Theater liegengelassen haben. Weiß der Teufel, welcher Psychopath ihn da gefunden hat.«
    Das Gesicht der Gattin blieb verriegelt wie ein Tresor. Der Regisseur stieß einen entnervten Seufzer aus. »Elisabeth«, versuchte er es abermals. »Mach aus diesem läppischen Schabernack doch keine Staatsaffäre. Vielleicht ist es ja auch vollkommen harmlos. Hast du schon mal daran

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