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Ringkampf: Roman (German Edition)

Ringkampf: Roman (German Edition)

Titel: Ringkampf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Hosentasche gezogen hatte.
    Reginald scharrte verlegen mit den Füßen. »Ihre Frau ist am Telefon.«
    »Du siehst doch, daß ich hier mitten in einer ganz wichtigen Arbeit bin«, schnauzte der Regisseur. »Sag ihr, daß ich jetzt unmöglich mit ihr reden kann. Ich rufe sie nachher in der Pause zurück.«
    Er steckte den Kaugummi in den Mund und wandte sich wieder dem Sänger zu.
    » Am Anfang der Szene tollst du zusammen mit Brünnhilde auf der Schaukel herum«, begann er in profanerem Arbeitston. Er klopfte auf den Klavierauszug. »Die Verzweiflungsekstase, in die du dich dann am Ende hineinsteigerst, die hat Wagner ja ganz allmählich und präzise aufgebaut. Wotan erfährt den totalen Absturz gerade deshalb, weil wir ihn in der Einleitung so ausgelassen und sorglos sehen wie nie zuvor — und übrigens auch nie mehr wieder. Das hier ist die einzige Szene im Ring, in der Wotan ganz bei sich selbst, ganz in sich geschlossen ist. Die äußeren Zwänge, die inneren Zerrissenheiten: all das scheint er hier für kurze Zeit überwunden zu haben. Diesen absoluten Frieden will ich sehen, ja? Es ist ein beinahe kindisches — ein naives Glück, das Wotan hier, in Gegenwart seiner Lieblingstochtererlebt. Verstehst du?«
    Jochen Sywoll nickte und vergrub seine Hände in den schweren Falten des Probenkostüms.
    »Ja, der Mantel«, hakte der Regisseur sogleich ein. »Der wird jetzt in dieser Szene ganz wichtig. Im Rheingold konntest du ihn ja nicht anziehen, ohne daß die Göttergattin ihn dir sofort wieder heruntergerissen und die Fussel vom Smoking geklopft hat. Hier, bei Brünnhilde, kannst du deinen geliebten Fetzen jetzt endlich einmal in Ruhe tragen. Zumindest am Anfang.« Alexander Raven lachte und knatschte mehrere Male auf seinem Kaugummi
herum. »Weißt du, ich stelle mir die Szene ungefähr so vor, wie wenn sich ein Transvestit heimlich im Spiegel bewundert. Und auf einmal platzt seine Frau herein. Genau das ist es ja, was dir dann passiert. Wenn Fricka angestürzt kommt, haben wir also die doppelte Peinlichkeit. Sie erwischt dich nicht nur in flagranti mit der Walküre – wobei das allein ja noch nicht allzu schlimm wäre, denn daß du lieber mit deinem unehelichen Töchterchen spielst als mit ihr, das hat sie ja mittlerweile geschluckt. Aber daß du den alten Feudel wieder anhast, den sie schon hundertmal zum Müll geworfen hat, das geht eindeutig zu weit. Und das weißt du. Deshalb reißt du dir den Mantel ganz schnell und schuldbewußt herunter, wenn Brünnhilde dich warnt, daß Fricka im Anmarsch ist. Ja? Aber es nützt dir nichts mehr. Du findest keinen Platz, wo du ihn verstecken kannst. Du mußt an dieser Stelle vollkommen panisch werden. Vielleicht knüllst du den Umhang zusammen und setzt dich drauf. Und Fricka zerrt ihn dann bei eurem Streit wieder hervor und haut ihn dir um die Ohren. Wir müssen ausprobieren, was am besten funktioniert.«
    Alexander Raven faßte sich an die Stirn. Gwendolyn lächelte ihm quer durch den Saal zu. Er beugte sich seitlich zu Cora hinüber. »Fällt dir was Wichtiges ein, was ich vergessen habe«, flüsterte er.
    Die Dramaturgin kratzte sich am Kinn. »Weiß nicht« murmelte sie, »aber irgendwie fehlt noch der ganze Anfang. Kann es sein, daß Wotan auf der Schaukelsitzt und Brünnhilde ihm von hinten Schwung gibt?«
    Der Regisseur schüttelte den Kopf. »Wotan auf der Schaukel? Das ist völlig falsch. Brünnhilde sitzt auf der Schaukel, und Wotan schubst sie an. So herum.«
    Cora ließ die unbeleckten Seiten des Klavierauszugs durch ihre Finger rieseln. Sie zuckte die Achseln. »Ich binmirsicher, daß in dieser Szene Wotan auf die Schaukel gehört. – Aber mach erst mal mit Brünnhilde weiter, vielleicht wird es uns danach klarer.«
    Alexander Raven brummte. Er blickte zu der Sängerin, die kaum kleiner neben Jochen Sywoll saß und ihre roten Fingernägel studierte. Gwendolyn blätterte in ihren Noten.
    »Mrs. Johnson-Myer, kommen wir nun zu Ihnen« fing er begeisterungslos an. Er gab sich einen Ruck. »Brünnhilde ist ja die einzige wirklich positive Figur im ganzen Ring«, sagte er zum rechten Ohr der Sängerin.
    Jessica Johnson-Myer schenkte ihm ein Lächeln, das die harte Schule der Kieferorthopädie glänzend gemeistert hatte.
    »Brünnhilde ist die einzige, die nicht die Liebe zugunsten von Macht verrät, sondern umgekehrt ihre Macht und am Schluß sogar ihr eigenes Leben für die Liebe hingibt«, erklärte Alexander Raven der Wand im Rücken der Sängerin. »Aus

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