Ringkampf: Roman (German Edition)
rote Fingernägel lagen auf dem Schminktisch. Krallen gehörten nicht zum Waffenarsenal der Walküren. Jessica Johnson-Myer begann, ihre rechte Hand abzurüsten. Sie repetierte den Text für die anstehende Szene.
» War es so schemäilich, was ich verbrach, daß mein Verbrechen so schemäilich du bestrafst? — Oh, shit! « Die
Sängerin warf den sechsten Fingernagel auf den Tisch. Sie blickte ihrem Spiegelbild tief in die Augen. » Schemäilich? Schemäilich? Schemäilich «, äffte das Bild sie nach. » Schmäilich .«
Sie griff nach einem mit Lösungsmittel getränkten Wattebausch, um ihre angeborenen Fingernägel von den Klebstoffresten zu reinigen. » My God, what a fuckin’ word! Schmählich !« Überrascht hob sie den Kopf. » Schmählich « wiederholte sie, »da bist du ja, dummes Wort. Schmählich! Schmäh-schmäh-schmählich «, intonierte sie in fallendem Dreiklang.
Zur Belohnung ließ sie ihre Stimme zwei Oktaven hinaufschnurren, erlaubte ihr einige Sprünge auf dem dreigestrichenen C und ließ sie glissandierend wieder in die Tiefe rutschen. Mit entspannter sotto voce begann sie zu singen.
» Wares so schmählich, was ich verbrach, daß mein Verbrechen so schmählich du bestrafst? War es so niedrig, was ich dir tat, daß du so tief mir Erniedrigung schaffst? War es so ehrlos, was ich beging, daß mein Vergeh’n nun die Ehre mir raubt? «
Jessica Johnson-Myer trat ans Fenster und öffnete es in Kippstellung. »Zu viele Fragen«, murmelte sie. »Es ist nicht gut.« Im Park setzte sich ein Junkie seinen Nachmittagsschuß.
Leise summend nahm sie die schweren Diamantohrringe ab, die Zanassian ihr vor ein paar Tagen geschenkt hatte. Sie legte sie zu den Fingernägeln.
» O sag, Vater! Sieh mir ins Auge! Schweige den Zorn, zähme die Wut, und deute mir klar die dunkle Schuld, die mit starrem Trotze dich zwingt zu verstoßen dein trautestes Kind! «
Sie stützte ihr Kinn auf die gefalteten Hände. » Zu verstoßen dein trau-tes-tes Kind «, artikulierte sie stumm in den Spiegel hinein. » Trau-tes-tes Kind .«
Die Sängerin zog einen Rittersporn aus dem üppigen Strauß, den ihr gleichfalls der Tycoon verehrt hatte. Mit der langen Dolde kitzelte sie sich im Nacken. Sie riß einige dunkelblaue Blüten ab und warf sie in die Luft.
Neben der Vase stand seit heute mittag die Champagnerflasche eines anonymen Anbeters. Jessica Johnson-Myer wickelte sich eine Locke um den abgerüsteten Finger und betrachtete die Flasche. Nachdenklich zupfte sie an der roten Strähne.
» Clicquot, Clicquot «, sinnierte sie in elegisch kleinen Terzen, » Merry Widow «. Sie brauchte auf ihre Stimmbänder keine übertriebene Rücksicht zu nehmen. Sie waren robust wie Rodeozügel.
Die Sängerin schaute sich nach einem Glas um. Über dem Waschbecken entdeckte sie einen Zahnputzbecher.
» Well , laßt uns noch ein wenig gurgeln«, sagte sie zu der Witwe. » Guuur-göllln «, wiederholte sie in röhrendem Brustton. » Strange language! « Sie schüttelte die rote Lockenpracht.
Mit drei Griffen zog Jessica Johnson-Myer der Veuve Clicquot das goldene Folienkäppchen ab, schraubte ihren Drahtverschluß auf und entkorkte sie. Sie prostete der Flasche zu.
Den ersten Becher stürzte sie in einem Zug hinunter. Den zweiten leerte sie in gemütlicheren Etappen. Rundum zufrieden leckte sie sich die rotglänzenden Lippen und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Ihr doppeltes Rülpsen klang, als ob eine Kirchturmglocke zwei geschlagen hätte.
Die Sonne brannte auf die Fensterscheiben. Es war ungewöhnlich still im Haus. Kein gedämpft quengelnder Tenor, kein blökendes Horn, kein winselndes Cello. Der Sängerin wurde nach Mittagsschlaf zumute. Sanfte Müdigkeit lähmte ihre Bewegungen. Widerstandslos gab sie der Schwerkraft ihrer Lider nach. Ein kleiner texanischer Dorfladen, der seine Rollgitter zur Siesta schließt. Jessica Johnson-Myers Kopf sank auf die Brust. Ein Seufzer aus längst vergangenen Tagen stieg in ihr auf. Die Sängerin lächelte. Ihr Lieblings-Mustang döste neben ihr. Sie spürte einen warmen Hauch im Nacken. Langsam drehte sie sich um. Ein gewaltiges weißes Pferd stand mitten in der Garderobe.
Jessica Johnson-Myer blinzelte ungläubig. Ihre Augendeckel schlugen zusammen. Sie versuchte krampfhaft, sich an die Zahlen von eins bis zehn zu erinnern. Irgendwo bei sieben war der Schimmel immer noch da. Sie faßte sich an die schweißnasse Stirn. Das Herz galoppierte in ihrem Brustkasten. Die Sängerin gab sich einen
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