Ringkampf: Roman (German Edition)
atmete wieder. Etwas war mit ihm geschehen, was selten geschah. Einigen Falten war es gelungen,
sich in seinen Stirnspeck zu ritzen. »Jessica«, sagte er bedrückt, »ich verstehe dich nicht. Jemand hat versucht, dich zu vergiften, und du scheinst dich darüber köstlich zu amüsieren.«
Die Sängerin ging auf die Sorge ihres Gönners mit der Anteilnahme einer plappernden Kinderpuppe ein. »Die Schokolade ist fantastic. Mmmmmh. Care for one ?«
»Jessica!« Egolf Zanassian rang seine elegischen Hände. »Es ist noch keine vierundzwanzig Stunden her, daß dir der Magen ausgepumpt wurde.«
»Oh ja. Ich bin hungrig.« Die Sängerin sah ihn belustigt an. Sie warf den Kopf zurück, riß den Mund auf und ließ sich mit dramatischer Geste einen Champagnertrüffel hineinfallen.
Staunen blähte Zanassians Züge. »Was bist du nur für eine sonderbare, wunderbare Frau, Jessica«, stammelte er.
32
Das Ehebett quietschte im Rhythmus der Schluchzer.
Alexander Raven preßte seine Fäuste gegen die Stirn. In seiner Stimme lag Hochprozentiges. »Elisabeth, bitte! Was hätte ich denn noch tun sollen? Sie haben mir keine Wahl gelassen. Ich weiß selbst, wie perfide das Ganze ist. Es ekelt mich nicht weniger an als dich. Aber Bellini hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Ich konnte nicht mehr anders.«
»Wieso konntest du nicht anders?« Die Bettdecke flog zurück. Elisabeths Gesicht starrte unter einer Lasur aus Rotz und Tränen. »Wieso konntest du nicht anders?«
Der Regisseur stand von seinem Stuhl auf. Seine Fersen hackten in den Teppich. Es war der gereizte, allzu harte Schritt des Alkoholikers, der sich am Suff vorbeigetrunken hatte. »Wenn du es nicht selber siehst, dann begreifst du es auch nicht, wenn ich es dir erkläre.«
Er zog eine Zigarette aus seiner Tasche und zerquetschte sie. »Der Ring muß über die Bühne. Es ist meine letzte Chance.«
Die Sängerin drehte den Kopf weg. Ihre Hände krampften sich in die Steppdecke. »Ja, deine letzte Chance! Immer geht es nur um deine letzten Chancen. Alexander, ich bin am Ende mit meiner Kraft.«
Sie ließ sich wieder in die Kissen sinken. »Ich habe meine Karriere aufgegeben für dich. Die ganzen letzten Jahre habe ich alle Engagements abgelehnt, die nicht in deinen Terminkalender gepaßt haben. Immer, wenn du mich gebraucht hast, bin ich für dich da gewesen. Immer habe ich mich hinter dich gestellt.« Tiefes Schluchzen quälte sich aus dem gerade erst vernarbten Brustkorb. »Daß du dich als Regisseur nie wirklich für mich eingesetzt hast – das habe ich akzeptieren müssen. Aber daß du dich jetzt in dieses dreckige Spiel hineinziehen läßt – «Den Rest schluckten die Tränen.
Alexander Raven war stehengeblieben. Die neuerlichen Heulkrämpfe forcierten seine Wut. »Ich habe nie von dir verlangt, auch nur ein einziges Engagement meinetwegen abzusagen. Das weißt du ganz genau. Im Gegenteil, ich habe dir von Anfang an gesagt, du sollst deine eigenen Pläne weiterverfolgen. Du selbst hast dich an mich gehängt wie eine Klette.«
Er machte drei harsche Schritte in Richtung Bett. Seine Frau hatte sich unter der Decke vergraben. »Elisabeth!
Hör auf mit diesem Theater! Es ist nicht die große aufopfernde Liebe, weswegen du mir überallhin folgst. Sondern Eifersucht. Wenn du mich tatsächlich so selbstlos lieben würdest, wie du dir einredest, dann hättest du die Kraft, mich loszulassen.«
Er wandte sich zur Tür. »Ich wußte, warum ich ohne dich nach Frankfurt gehen wollte. Der Ring muß über die Bühne. Ich kann keine Rücksichten mehr nehmen. Auf dich nicht. – Und aufmich selbst auch nicht.«
Er griff nach seinem Hut. »Ich gehe jetzt.«
Unter der Bettdecke war es still geworden. »Ja, geh nur, geh«, sagte eine ausgelaugte Stimme. »Und sauf dich zu Tode.«
Die Wohnungstür fiel ins Schloß.
33
Reginald strahlte wie ein frisch gebackener Gott. Zum ersten Mal gehörte der Saal alleine ihm. Um ihn herum saßen die achtzehn kulturhungrigen Mäuler des Jugendclubs EUPHORION. Gierig hingen sie an seinen Lippen.
»Heute probieren wir eine sehr wichtige Szene«, begann er verheißungsvoll. »Wotan verbannt Brünnhilde aus Walhall. — Es ist aber auch eine sehr traurige Szene«, fügte er etwas gedämpfter hinzu. »Hierin dieser Feuerburg trennt sich Wotan von seiner Lieblingstochter, hier muß Brünnhilde schlafen, bis ihr Retter Siegfried kommt. Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, wo die Feuerburg ist. — Nun, Sie sehen sie bereits vor
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