Ringkampf: Roman (German Edition)
Regisseurs.
»Cora, ich muß mitdirreden«, sagte er gepreßt.
»Irgendwo hab ich den Satz schon mal gehört brummte sie, nachdem sie sich von ihrer ersten Überraschung erholt hatte. »Ist Rededrang jetzt dein neuestes Leitmotiv?« Sie ging ins Zimmer voraus und warf das eingeigelte Dessous auf den Kleiderberg.
Einzeln quälte sich Alexander Raven die Worte aus dem Mund. »Cora, du weißt, daß es mir nicht leicht fällt und daß es mir lieber wäre, es wäre anders.«
»Ich weiß gar nichts«, schnappte sie. »Aber es muß ja ein ganz besonderes Es sein, wenn es dich nicht nur zu mir, sondern auch noch in einen doppelten Konjunktiv zwingt.«
»Ich gehe wieder, wenn du mir nicht zuhören willst.« Mit zittrigen Händen fuhr sich der Regisseur durch das tiefer gelichtete Haar.
»Darf ich eins klarstellen: Ich habe Hochwürden um keine Audienz gebeten. Meinetwegen kannst du sofort abhauen.« Cora unterstrich ihre Aussage mit der schwarzen Stiletto-Sandale, die sie unter dem Bett hervorgezogen hatte.
Wütend wandte sich der Regisseur zur Tür. Er trat über die Schwelle.
»Cora, wenn die Lage nicht wäre, wie sie ist, würde ich mir lieber die Zunge abschneiden, als dich um einen Gefallen zu bitten«, sagte er in den dämmrigen Flur hinein. »Aber es muß sein. Ich komme nicht weiter. Die Proben stecken in einer absoluten Krise.«
»Aha. König Alzheimer kriecht zu Kreuze.« Cora suchte nach der anderen Sandale, die sich an einem unbekannten Ort aufhielt. Sie war nicht mehr in der Stimmung, mit den Dingen Verstecken zu spielen.
»Bitte, Cora«, flehte er, »hör mir ein Mal zu, ohne sofort zurückzubeißen. Ich schaffe es nicht mehr. Ich bin am Ende mit den Nerven. Die Geschichte mit der Johnson-Myer hat mir den Rest gegeben.«
Cora hatte die verspielte Sandale unter dem Kopfkissen gefunden und ließ sie am schwarzen Lederriemchen
zappeln. »Seit wann liegt dir denn unsere amerikanische Super-Walküre am Herzen«, spottete sie und beförderte den Schuh mit einem liebevollen Klaps in den Koffer.
»Könntest du – bitte – dieses Rumgeräume sein lassen«, fauchte der Regisseur. »Es macht mich rasend.« Er nestelte eine Zigarette aus dem zerknautschten Soft-Pack.
»Reginald, dieser Ober-Hof-Intrigant, hat Bellini eingeflüstert, daß Elisabeth auf Brünnhilde scharf war. — Bellini hat Elisabeth gefeuert«, fügte er gedämpfter hinzu.
Cora grinste. »Ist mir bereits bekannt. Good news travel fast .« Sie setzte sich auf ihr überladenes Reisegepäck. »Ich wäre jetzt aber doch neugierig, was der gewichtige Grund ist, der dich zu mir getrieben hat«, sagte sie, nachdem Alexander Raven dauerhaft verstummt zu sein schien.
Sie griff nach zwei Strumpfhosenbeinen, die aus dem Prokrusteskoffer heraushingen, und band eine Schleife. »Soll ich zu Bellini gehen und ihm erklären, daß ich diejenige war, die zuerst dein unschuldiges Eheweib sabotiert hat und später dann auch noch eure Primadonna in die ewigen Jagdgründe schicken wollte?«
Der Regisseur ließ sich auf einen der leer gefegten Stühle fallen. Die Zigarette in seiner Hand zitterte. »Komm zurück, Cora. Ich kann nicht mehr. – Es gibt keinen einzigen in der ganzen Produktion, der mir irgendwie eine Hilfe wäre, mit dem ich auch nur ansatzweise über die Fragen reden könnte, die mich quälen. Ich habe das Gefühl, keiner versteht mehr das Konzept – am wenigsten ich selbst. Die Abläufe auf der Bühne sind alle
hohl und mechanisch geworden. Nichts stimmt mehr. Die Sänger posieren von Szene zu Szene, ohne daß sich daraus irgend etwas ergeben würde. — Immer öfter befällt mich der Gedanke, daß es nicht nur die Jahre sind, die meine Inszenierung erodiert haben. Vielleicht habe ich mich damals schon geirrt, vielleicht war damals schon alles falsch.« Unbemerkt brach die Aschenspitze von seiner Zigarette ab.
»Wir haben nur noch knapp vier Wochen Zeit. Ich kann nicht alles neu entwickeln. Wir müssen aus der alten Inszenierung wieder Funken schlagen.« Er zoomte den Blick von unendlich auf die Augen seiner Dramaturgin. »Bitte, Cora. Bedeutet dir unsere gemeinsame Arbeit denn gar nichts mehr? Es steckt doch auch so viel von dir in diesem Ring. Erinnerst du dich nicht mehr, wie wir nächtelang zusammengesessen und diskutiert haben? Wie du mir Schopenhauer und Hegel erläutert hast? Wie wir über den Schluß von Götterdämmerung gestritten haben?«
Die Dramaturgin spürte, wie sie unter Alexanders veränderter Brennweite zu schmelzen
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