Ringkampf: Roman (German Edition)
einzuladen.«
»Vor einem Monat, vor einem Monat«, brüllte der Regisseur. »Es ist mir scheißegal, was ich vor einem Monat gesagt habe. Ich bin hier, um zu arbeiten, und nicht, um irgendwelche Gesellschaftsnachmittage zu veranstalten. «
»Aber die Jugendlichen stören Sie doch nicht. Sie wollen doch nur zu’chauen.« Zu spät biß sich Reginald auf die widerspenstige Zunge.
»Wenn das hier so weitergeht, gibts bald gar nichts mehr zum Zu’chauen «, äffte Alexander Raven ihn nach. »Ist dir eigentlich schon aufgefallen, daß wir bis über beide Ohren in der Scheiße stecken? Außer Irrsinn ist auf dieser Bühne seit Wochen nichts geschehen. Wir kommen keinen Schritt voran. Und was macht mein Assistent? Er sorgt sich um eine Bande verwöhnter Frankfurter Bengel, die gerade eben mal zuschauen wollen.«
»Aber wir können doch —«, flüsterte Reginald.
»Schluß! Ich will nichts mehr hören. Du schaffst mir diese Bagage vom Hals. Und zwar auf der Stelle. Wenn ich in drei Minuten zurück bin, will ich da drinnen keinen mehr sehen. Außer denen, die da wirklich was zu suchen haben!« Alexander Raven verschwand in den Gängen des Opernhauses. Reginald verkniff sich die Tränen. Er ballte die Faust.
Seine Finger zitterten, als er vor den betreten wartenden Jugendclub trat. »Es tut mir leid«, sagte er tapfer. »Herr Raven hat Bedenken, Sie der heutigen Probe beiwohnen zu lassen. Wir werden Sie rechtzeitig über einen neuen Termin informieren. Ich muß Sie jetzt leider bitten zu gehen.«
Gesittet leistete EUPHORION der Aufforderung Folge. Die achtzehn Söhne der Stadt nahmen ihre Blumensträuße in den Arm und kehrten der unwirtlichen Probebühne eilig den Rücken.
Nur vier versprengte Gestalten waren in dem Saal übriggeblieben. Gwendolyn saß allein am Regietisch. Sie schaute zu Jochen Sywoll. Jochen Sywoll saß allein auf der Bühne. Er schaute zu Reginald. Reginald saß allein neben dem Ausgang. Er schaute zu seinen Schuhen. Die
neue japanische Korrepetitorin saß allein hinter dem Flügel. Sie lächelte still vor sich hin.
Alexander Raven kam zurück. Wortlos setzte er sich neben die Hospitantin. Er fingerte nach ihrem Klavierauszug.
»Können wir jetzt anfangen«, knurrte er. »Jochen, gehst du bitte an deinen Platz? Danke.«
Sein Blick suchte die leeren Stuhlreihen entlang der Wände ab. »Wo ist die Statistin, die Brünnhilde markiert? « Die Sitzflächen schwiegen.
»Reginald«, sagte er lauter, »wo ist die Statistin, die Brünnhilde markiert?«
Der Assistent hob schwach den Kopf. »Niemand hat mir gesagt – «
»Da muß auch niemand was sagen«, explodierte der Regisseur. »Wenn bei den Proben ein Sänger ausfällt, wird ein Statist gebraucht. Und es ist Aufgabe des Assistenten, sich darum zu kümmern. Jeder Idiot weiß das! In meinem ganzen Leben ist mir noch kein solcher Dilettant untergekommen! Raus oder ich vergesse mich!«
»Ich finde, Sie—«
»Raus«, brüllte Alexander Raven. »Und richte Bellini aus, er soll mir in Zukunft einen Assistenten schicken, der nicht nur einen Arsch, sondern auch einen Kopf hat!«
Reginald sprang auf. »Das — das ist — so lasse ich nicht mit mir reden!« Er schlug die Hände vors Gesicht und rannte davon. Die Stahltür knarzte hinter ihm ins Schloß.
Gwendolyn schaute zu Jochen Sywoll. Jochen Sywoll schaute zu Alexander Raven. Alexander Raven schaute zu der neuen japanischen Korrepetitorin. Die neue japanische Korrepetitorin lächelte still vor sich hin.
»Entschuldigt, bitte.« Der Regisseur schüttelte sich und blätterte unbeholfen in Gwendolyns Klavierauszug. »Wir sollten jetzt wirklich anfangen. Wenn wir heute keine Brünnhilde haben, dann muß es eben ohne gehen. «
»Ich kann doch Brünnhilde spielen.«
Alexander Raven drehte sich erstaunt zur Seite. Die Hospitantin schaute ihn offenherzig an.
»Würdest du das wirklich tun«, sagte er gerührt. Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Danke, Gwendolyn, das ist furchtbar nett von dir, vielen Dank.«
Vom Bühnenpodest kam ein heiseres Räuspern. Jochen Sywoll wischte sich den Schweiß von der Stirn.
34
Letzte Alltags-Reliquien, die sich in den vergangenen Wochen durch das Apartment verteilt, die fremde Wohnung mit vertrauter Patina überzogen hatten, wanderten in die aufgeklappten Koffer zurück. Cora bückte sich, um einen zusammengerollten schwarzen Slip unter der Heizung hervorzuangeln, als es an der Tür klingelte.
Furcht und Selbstmitleid glänzten im Blick des
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