Ringkampf: Roman (German Edition)
Göttermantel aus dem Schutt .
Cora stürzte einen hastigen Schluck hinunter. Der Rotwein lief ihr übers Gesicht.
Der Mantel hätte in jener Nacht nicht auf der Bühne sein dürfen. Kostüme wurden nach jeder Abendprobe in die Schneiderei oder den Hausfundus zurückgebracht. Daß sie den Mantel trotzdem auf der Bühne gefunden hatte, konnte nur eins bedeuten. Jemand hatte ihn nach der Probe wieder dorthin geschleppt. Und dieser Jemand war Otto.
Die Dramaturgin wischte sich den Wein aus dem Gesicht.
Bei einer Bauprobe war ihr der betagte Komparse das erste Mal aufgefallen. Sie hatte sich gewundert, mit welcher Andacht der zerbrechliche Greis stundenlang an Wotans Platz ausgeharrt hatte. Sie hatte das Gefühl
gehabt, er wäre dort oben auf der Bühne für immer erstarrt, wenn sie ihn nicht eigenhändig nach Hause geschickt hätte.
Eines Morgens, vor einer Walküre -Probe, hatte sie in den Kulissen ein pfeifendes Schnarchen gehört. Sie war auf die Bühne gegangen. Und hatte den greisen Statisten entdeckt. Zusammengerollt hatte er am Fuße der Feuerburg gelegen, eingewickelt in Wotans blauen Göttermantel.
Er hatte sie angefleht, niemandem etwas zu sagen, und ihr unter Tränen versichert, Kostüm und Dekorationen stets mit größter Sorgfalt zu behandeln. Wenigstens am Ende seines langen Statistenlebens wolle er einmal wirklich wie Wotan leben.
Sie hatte niemandem etwas gesagt. Und mehrals das. Indem sie ihn gedeckt hatte, hatte sie seinen Spleen noch gefördert. Die Vorstellung, daß nachts ein falscher Wotan in den heiligen Götterpantoffeln umherschlurfte, hatte sie erheitert. Bis zu jenem Morgen, an dem die Bühne in Flammen gestanden hatte.
Cora warf die leere Weinflasche weg.
Vergeblich hatte sie die Menschenmenge nach der fragilen Gestalt durchforstet, als sich die Nachricht verbreitete, ein Cottbusser Junkie habe sich der Polizei gestellt. Unverzüglich hatte sie drei Kreuze geschlagen und Otto aus der Hölle der Brandstifter in den Himmel der unschuldigen Feueropfer entschweben lassen.
Die Dramaturgin stand auf.
Niemand hatte in den wirren Tagen nach dem Brand Otto vermißt. Erst lange nachdem die Trümmerderverglühten Bühne abtransportiert worden waren, hatte
man sich kurz einmal gefragt, wohin der alte Komparse so spurlos verschwunden war.
Unruhig tigerte Cora im Zimmer umher. Sie stellte den Fernseheran und zappte sich durch die Kanäle.
Bei einem Überfall auf einen Frankfurter Juwelierladen hatten zwei schwer bewaffnete Täter Schmuck im Wert von drei Millionen Mark erbeutet. Anonyme Alkoholiker befreiten sich mit Hilfe ihrer Talkmasterin aus der Anonymität. In Kanada waren diesen Sommer bereits zwölf Waldarbeiter bei Waldbränden ums Leben gekommen. Irgendeine Extrawindel machte irgendeinen Babypapa extraglücklich. Unter blutrotem Gewitterhimmel mähte Arnold Schwarzenegger schleimige Marsmonster nieder.
Cora holte eine neue Flasche aus der Küche und legte sich wieder aufs Bett.
Drei Tage lang hatte sie sich damals besoffen. Am ersten Tag hatte sie dem Cottbusser deus ex machina gehuldigt, der jegliche Mitschuld von ihr genommen hatte. Am zweiten Tag hatte sie Otto aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Am dritten Tag war der Opernbrand zum Flammenschwert aufgestiegen, das ihr das Schicksal gesandt hatte, um ihre verfahrene Biographie zu bereinigen.
Arnold Schwarzenegger rutschte einen staubigen Vulkankegel hinunter. Erfaßte sich an die Gurgel.
Cora setzte die volle Flasche an.
In den Monaten vor dem Brand hatte ihr Leben zu gären begonnen. Die weiten Augen, mit denen sie Wagner früher gelauscht hatte, hatten sich argwöhnisch verengt. Alexander, ihre erste große Liebe, hatte sich als letzte große Liebe entlarvt. Der Ring war ihr zum Mühlstein
geworden. Täglich hatte sie sich von ihrem alten Leben weiter entfernt, ohne es abstoßen zu können.
Auf dem Bildschirm quoll Arnold auf. Die Augen traten ihm aus den Höhlen.
Erst der Opernbrand hatte der zähen Drift ein Ende gesetzt. Keine vier Wochen später war sie aus Frankfurt weggezogen, hatte Alexander sich von ihr, und sie sich von Wagner getrennt.
Cora schwang sich aus dem Bett. Barfuß tappte sie auf den Balkon hinaus.
Auf dem Messeturm leuchtete nur mehr die Ruine einer Pyramide. Jeden Tag verglühte eine weitere Neonröhre. In einem Monat würde der Stolz des nächtlichen Frankfurt vollständig erloschen sein.
Die Dramaturgin schloß die Augen.
Als Flammenschwert hatte der Opernbrand versagt. Er hatte sie von gar nichts
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