Ringwelt 04: Brennans Legende
es losgeschickt, sobald es fertig gestellt war. Warum hätten sie länger warten sollen? Vielleicht haben sie ein drittes Schiff hinterhergeschickt, und hinter diesem ein viertes. Ich werde von hier aus danach Ausschau halten, solange ich mein – in Anführungszeichen – Teleskop noch zur Verfügung habe.«
»Und dann?«
»Dann werde ich alle Schiffe zerstören, die ich entdecke.«
»Einfach so?«
»Warum stellt ihr immer wieder die gleichen Fragen?« erwiderte Brennan bitter. »Seht her: Falls ein Pak erfährt, was aus den dummen Brütern von vor zweieinhalb Millionen Jahren geworden ist, wie die menschliche Rasse heute aussieht, dann würde er versuchen, uns auszurotten. Was soll ich eurer Meinung nach tun? Ihm eine Nachricht schicken und um einen Waffenstillstand bitten? Diese Information allein würde ihm schon zu viel verraten.«
»Vielleicht könntest du ihm weismachen, du wärst Phssthpok?« wandte Alice ein.
»Wahrscheinlich könnte ich das, ja. Was dann? Natürlich würde er aufhören zu essen. Aber zuerst würde er sein Schiff herbringen wollen. Er würde niemals glauben, daß wir bereits die künstliche Herstellung magnetischer Monopole beherrschen, und sein Schiff wäre das zweite seiner Art in unserem System. Außerdem könnten wir vielleicht das Thalliumoxid gebrauchen.«
»Hm.«
»Hm«, äffte Brennan sie nach. »Glaubst du vielleicht, mir gefällt die Vorstellung, jemanden umzubringen, der einunddreißigtausend Lichtjahre weit gereist ist, um uns vor uns selbst zu retten? Ich habe viele Jahre darüber nachgedacht. Es gibt keine andere Möglichkeit. Aber dadurch solltet ihr euch nicht aufhalten lassen.« Brennan erhob sich. »Denkt selbst darüber nach. Und während ihr darüber nachdenkt, könnt ihr Kobold erkunden. Irgendwann gehört er euch. Die gefährlichen Sachen sind hinter verschlossenen Türen. Nehmt euch einen Ball, schwimmt im See, spielt meinetwegen Golf, aber eßt nichts und öffnet vor allen Dingen keine Tür! Roy, erzähl ihr, was es mit der Geschichte vom Ritter Blaubart auf sich hat.« Brennan deutete auf einen niedrigen Hügel. »In dieser Richtung und durch den Garten findet ihr mein Labor. Ich bin dort, falls ihr mich sucht. Laßt euch Zeit.« Dann brach er auf. Er ging nicht einfach, sondern rannte davon.
Sie blickten sich an.
Alice fragte: »Glaubst du, er hat die Wahrheit erzählt?«
»Ich neige dazu, ja«, sagte Roy. »Künstliche Schwerkraft. Und das hier. ›Kobold‹. Mit Gravitationsgeneratoren könnten wir ihn vielleicht ins Sonnensystem schaffen und eine Art Disneyworld daraus machen.«
»Was hat er gemeint mit der Geschichte vom ›Ritter Blaubart‹?«
»Damit wollte er uns sagen, daß wir wirklich keine Türen öffnen sollen.«
»Oh.«
Da sie gehen konnten, wohin sie wollten, entschieden sie sich, Brennan über den Hügel zu folgen. Er war nirgends zu sehen. Kobolds Horizont war, zumindest vom äußeren Rand des Toroiden aus betrachtet, stark gekrümmt wie bei jedem kleinen Asteroiden.
Sie fanden den Garten.
Darin standen Obst- und Nußbäume. Gemüsebeete erstreckten sich mit Pflanzen in allen Reifestadien. Roy zog eine Karotte aus der Krume und erinnerte sich …
Er und ein paar seiner Cousins, alle um die zehn Jahre alt, waren mit Urgroßmutter Stelly durch den kleinen Gemüsegarten ihres Anwesens spaziert. Sie hatten Karotten gezogen und sie unter einem Wasserhahn abgewaschen …
Er ließ die Karotte fallen, ohne hineingebissen zu haben. Zusammen mit Alice wanderte er unter Orangenbäumen hindurch, ohne die Früchte anzurühren. In einem Märchenland ignorierte man nicht leichtfertig einen ausdrücklichen Befehl des ortsansässigen Kriegsherrn … und Roy war nicht sicher, ob Brennan wußte, wie groß die Verlockung zum Ungehorsam war.
Ein Eichhörnchen schoß einen der Bäume hinauf, als sie sich näherten. Aus einem Beet heraus beobachtete sie ein neugieriges Kaninchen.
»Das erinnert mich an den Gefängnisasteroiden«, sagte Alice.
»Und mich an Kalifornien«, entgegnete Roy. »Mit Ausnahme der Art und Weise, wie die Gravitation sich krümmt. Ich frage mich, ob ich schon einmal hier gewesen bin.«
Sie musterte ihn mit scharfem Blick. »Erinnerst du dich an etwas?«
»Nicht die kleinste Kleinigkeit. Alles ist absolut fremd. Brennan hat die Entführungen mit keinem Wort erwähnt, oder?«
»Nein. Er … möglicherweise denkt er, es sei nicht notwendig. Wir müssen alles herausgefunden haben, sonst wären wir gar nicht hier. Falls
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