Ringwelt 06: Flatlander
es schon am Telefon sagen. Ansonsten müssen wir zu ihm rüber.«
»Jepp.« Bera grinste, obwohl ich ihn mitten aus dem Schlaf gerissen hatte. »Es wird ihm nicht gefallen, morgens um drei Uhr aus dem Schlaf gerissen zu werden.«
Der weißhaarige Butler informierte mich, daß Holden Chambers nicht gestört zu werden wünschte. Er suchte nach einem imaginären Abschaltknopf, als ich sagte: »Es handelt sich um eine dienstliche Angelegenheit. Es geht um Leben und Tod.« Ich hielt meinen Ausweis vor die Optik. Der Butler nickte und aktivierte die Warteschleife.
Sehr überzeugend, in der Tat. Allerdings hatten sich einige seiner Bewegungsabläufe bei jedem meiner Anrufe wiederholt.
Chambers erschien auf dem Schirm. Er steckte in einem stark zerknitterten Schlafanzug. Als er mich sah, wich er ein paar Fuß zurück (Angst vor einem imaginären Eindringling?) und setzte sich auf die Kante eines schwappenden Wasserbetts. Er rieb sich die Augen und sagte: »Ich träume doch nur, oder? A-a-also schön, ich ziehe mir nur eben ein paar Sachen an. Von was für einer Gefahr haben Sie da geredet?«
»Das kann ich Ihnen nicht am Telefon sagen. Bleiben Sie, wo Sie sind.« Ich rief wieder bei Bera an.
Wir trafen uns in der Eingangshalle von Taffys Appartementhaus. Wir nahmen das Taxi, mit dem er gekommen war. Ein ARM-Ausweis im Kreditkartenschlitz verwandelt jedes Taxi in ein Polizeifahrzeug. »Konntest du nichts feststellen?« fragte Bera.
»Nein, er war zu weit vom Bildschirm entfernt. Ich mußte irgendetwas sagen, also riet ich ihm, sich nicht vom Fleck zu rühren.«
»Ich glaube kaum, daß das eine gute Idee war.«
»Das spielt keine Rolle mehr. Anubis bleiben nur fünfzehn Minuten Zeit zum Reagieren, und selbst dann könnten wir noch seine Spur aufnehmen.«
Wir klingelten, doch eine Weile geschah nichts. Vielleicht war er überrascht, uns vor seiner Tür zu sehen. Normalerweise gelangt man gar nicht erst an den Aufzug zum Parkdeck, wenn man nicht von einem Bewohner der Appartementanlage eingelassen wird, doch ein ARM-Ausweis öffnet die meisten Schlösser.
Beras Geduld war am Ende. »Ich schätze, er hat sich aus dem Staub gemacht. Wir sollten besser …«
Chambers öffnete die Tür. »Also schön, meine Herren. Was hat das alles zu bedeuten? Kommen Sie …« Er verstummte, als er unsere Waffen sah.
Bera warf sich gegen die Tür und tauchte nach rechts weg, ich sprang nach links. In diesen winzigen Appartements gibt es nicht viele Versteckmöglichkeiten. Das Wasserbett war verschwunden, und an seiner Stelle befand sich nun eine L-förmige Couch mit einem Wohnzimmertisch. Hinter der Couch war nichts. Ich sicherte die Tür zum Badezimmer, während Bera sie auftrat.
Niemand außer uns da. Chambers gewann die Fassung zurück. Er lächelte, und schließlich applaudierte er uns. Ich verbeugte mich.
»Sie scheinen es tatsächlich ernst gemeint zu haben«, sagte er. »Was für eine Art Gefahr? Hätte das nicht bis morgen warten können?«
»Wahrscheinlich, aber ich hätte keinen Schlaf mehr gefunden«, sagte ich und näherte mich ihm. »Ich muß mich bei Ihnen vielmals entschuldigen – falls ich mich geirrt haben sollte.«
Er wich vor mir zurück.
»Nun bleiben Sie doch stehen. Es dauert nur eine Sekunde.« Ich rückte vor.
Bera war inzwischen hinter ihm. Er hatte sich nicht beeilt. Seine langen Beine verhelfen ihm oft zu einer trügerischen Geschwindigkeit.
Chambers wich zurück. Weiter und weiter, bis er auf Bera prallte und überrascht aufkreischte. Er schwankte unentschlossen, dann wich er in Richtung Badezimmer aus.
Beras Hände schossen vor. Mit der einen umklammerte er Chambers’ Leib, während er mit der anderen seine Arme festhielt. Chambers zappelte wie ein Irrer. Ich machte einen weiten Schritt zur Seite, um seinen wirbelnden Tritten auszuweichen, und streckte dann meine imaginäre Hand nach seinem Gesicht aus.
Chambers erstarrte. Dann begann er zu kreischen.
»Davor hatten Sie Angst«, sagte ich. »Sie haben wahrscheinlich nicht im Traum gedacht, daß ich durch einen Bildschirm greifen könnte, um das hier zu tun.« Ich tastete nach seinem Kopf, drang unter die Schädeldecke, fühlte glatte Muskeln, die Stirnhöhlen und die Knochen. Er warf den Kopf hin und her, doch meine Hand vollzog die Bewegungen nach. Ich fuhr mit meinen imaginären Fingerspitzen an der glatten Innenfläche seines Schädels entlang. Dort war es: ein Strang aus Narbengewebe, kaum spürbar auf dem Knochen, viel zu dünn, um
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