Ringwelt 06: Flatlander
hatten keinerlei Verdacht bis …« ich warf einen Blick auf meine Uhr, »… vor etwa fünfundvierzig Minuten.«
»Zensiert und zugenäht! Das sagen ausgerechnet Sie! Als ich Sie im Midgard entdeckte und Sie mich angestarrt haben, da dachte ich bereits, Sie hätten mich. Diese schwebende Zigarette. Sie waren der Bursche, der Loren geschnappt hat, und jetzt waren Sie hinter mir her.«
Ich konnte nicht anders, ich mußte lauthals lachen. Anubis saß da und ließ es über sich ergehen. Seine Ohren waren rot geworden.
Sie riefen irgendetwas, das ich nicht genau verstehen konnte. Etwas in einem Rhythmus, der sich endlos wiederholte. DAdadadaDAdadada …
Auf dem winzigen Balkon vor Garners Büro war gerade ausreichend Platz für Lukes Schwebestuhl, Jackson Bera und mich. Weit unter uns strömten die Demonstranten in lockerer Formation am ARM-Gebäude vorüber. Paarweise trugen sie gewaltige Banner: LASST DIE TOTEN RUHEN, schlug eines vor, und ein anderes, in etwas kleinerer Schrift: WARUM SOLLEN WIR SIE NICHT STÜCK FÜR STÜCK WIEDERBELEBEN? Und ein drittes Banner verkündete mit tödlicher Logik: UM DEINES VATERS WILLEN …
Eine Absperrung trennte die Demonstranten von den Zuschauern: eine lange Menschenschlange in der Mitte der Wilshire Road. Die Zuschauermenge war sogar noch größer. Es sah aus, als hätte sich ganz Los Angeles am Straßenrand versammelt. Einige der Zuschauer trugen ebenfalls Plakate: AUCH SIE WOLLEN LEBEN, oder: BIST DU VIELLEICHT EIN FREEZER-ERBE?
»Was rufen sie da?« fragte Bera. »Das sind nicht die Demonstranten. Das sind die Leute am Straßenrand! Sie übertönen die Rufe der Demonstranten.«
DAdadadaD Adadada … DAdadadaDAdadada … Der Wind trug nur Fragmente des Sprechgesangs zu uns herauf.
»Drinnen könnten wir in der Hologlotze wahrscheinlich mehr sehen«, sagte Garner, ohne Anstalten zu machen, sich nach drinnen zu begeben. Es war eine metaphysische Kraft, die uns hier draußen festhielt, das Wissen, dabei zu sein. Augenzeuge des Geschehens.
Abrupt wandte sich Garner an mich. »Was macht Charlotte Chambers?«
»Ich weiß es nicht.« Ich wollte nicht darüber sprechen. Nicht jetzt.
»Haben Sie nicht heute Morgen noch im Menninger-Institut angerufen?«
»Ich weiß einfach nicht, wie ich es aufnehmen soll. Sie haben ihr einen Ekstasestecker implantiert und versorgen sie mit genug Strom, um ihr Interesse wachzuhalten. Es funktioniert. Ich meine, sie redet wieder mit Menschen, aber …«
»Besser, als wenn sie ganz in Katatonie bliebe«, warf Jackson Bera ein.
»Ach ja? Es gibt keine Möglichkeit, einen Steckerkopf von seiner Sucht zu befreien. Sie muß den Rest ihres Lebens mit einer Batterie unter der Schädeldecke durch die Gegend laufen. Eines Tages, wenn sie weit genug in die wirkliche Welt zurückgekehrt ist, wird sie eine Möglichkeit finden, den Stromfluß in ihrem Hirn zu verstärken, und dann ist sie wieder da, wo sie angefangen hat.«
»Betrachte sie als unheilbar krank.« Bera zuckte die Schultern, als schüttete er ein unsichtbares Gewicht ab. »Ich weiß keine bessere Antwort, Mann. Sie ist sehr schwer verletzt worden!«
»Es ist mehr als das«, sagte Luke Garner. »Wir müssen herausfinden, ob man sie heilen kann. Die Zahl der Drahtköpfe steigt von Tag zu Tag an. Ein ganz neues Laster. Wir müssen wissen, wie wir es unter Kontrolle halten können. Was zum Piep ist dort draußen los?«
Die Zuschauer drängten jetzt gegen die Absperrungen. Plötzlich brachen sie an einem Dutzend verschiedener Stellen gleichzeitig durch und mischten sich unter die Demonstranten. Es war der reinste Mob dort unten. Sie sangen noch immer, und plötzlich verstand ich die Worte.
ORganpascherORganpascher …! ORganpascherORganpascher …!
»Das ist es!« rief Bera voll angenehmer Überraschung. »Der Fall Anubis hat zu viel Publicity bekommen. Dort unten tobt die Schlacht Gut gegen Böse.«
Dann brachen die Aufsässigen scharenweise zusammen. Helikopter über ihren Köpfen hatten damit begonnen, sie mit Sonarkanonen außer Gefecht zu setzen.
»Jetzt wird das zweite Freezergesetz bestimmt niemals mehr in Kraft treten«, sagte Bera.
»Jedenfalls bei diesem Anlauf nicht«, sagte Lucas Garner, für den »niemals« eine lange Zeit bedeutet. »Trotzdem müssen wir uns Gedanken darüber machen. Eine Menge Leute stehen für Transplantationen an. Die Warteliste ist verdammt lang. Falls das zweite Freezergesetz von den Wählern abgelehnt wird …«
Ich verstand, worauf er
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