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Ringwelt 08: Der kälteste Ort

Ringwelt 08: Der kälteste Ort

Titel: Ringwelt 08: Der kälteste Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Niven
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verschwendet.
    Ich weinte. Daran erinnere ich mich. Ich weinte aus Kummer und aus Angst. Trotzdem sprach ich so ruhig wie immer. Jerome ahnte die Wahrheit nicht. Was er sich dabei dachte, ist seine Privatangelegenheit. Er schilderte mir die Lage, nahm Abschied von mir, ging hinaus in das Eis und nahm den Helm ab. Ein weißer Nebelball hüllte seinen Kopf ein, explodierte und rieselte in winzigen Schneeflocken auf den Boden.
    Doch das alles scheint schon in weiter Vergangenheit zurückzuliegen. Jerome steht dort unten, den Helm in der geballten Faust, eine eigene Statue als erster Mensch auf dem Pluto. Ein Reif rekondensierter Flüssigkeit liegt auf seinem Gesicht.
    Sonnenaufgang. Ich hoffe, daß die Amöbe …
    Die Sonne verharrte einen Augenblick zwischen den Gipfeln, eine weiße, punktgroße Lichtquelle. Dann schoß sie nach oben – und der sich drehende Himmel kam jäh zum Stillstand.
    Kein Wunder, daß ich das nicht früher beobachten konnte. Es geschah alles viel zu schnell.
    Sammy saß dort oben im Schiff, das zur Erde zurückkehren sollte. Doch er konnte nicht zu mir herunter, und ich konnte nicht zu ihm hinauf. Mein Jetpacksystem funktionierte einwandfrei; aber früher oder später würde ich hier unten erfrieren, oder die Atemluft würde mir ausgehen.
    Ich blieb ungefähr 30 Stunden beim Landefahrzeug, holte Eis- und Bodenproben zusammen, analysierte sie, schickte die Daten mit meinem Laserstrahl zu Sammy hinauf. Ich übermittelte ihm auch meine berühmten letzten Worte und bedauerte mich selbst. Mehrmals mußte ich Jeromes Denkmal passieren. Als Leiche, die nicht von einem Präparator nach dem Tode kosmetisch behandelt worden war, sah er verdammt gut aus. Seine reifbedeckte Haut kann man kaum von Marmor unterscheiden, und seine Augen sind nach oben gerichtet und blicken sehnsüchtig zu den Sternen. Jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeikam, überlegte ich, wie ich ausschauen würde, wenn meine Zeit käme.
    »Du mußt nach einer Schicht aus gefrorenem Sauerstoff suchen«, wiederholte Sammy beharrlich.
    »Weshalb?«
    »Sie erhält dich am Leben! Früher oder später werden sie ein Rettungsschiff hierher schicken! Du darfst jetzt nicht aufgeben!«
    Ich hatte bereits aufgegeben. Selbstverständlich war hier auch Sauerstoff vorhanden, aber nicht in so nennenswerten Schichten, wie Sammy das erhoffte. Es gab hier nur Sauerstoffadern, vermischt mit anderen Stoffen. Das Sauerstoffvorkommen glich Goldadern im Gestein auf der Erde. Die Adern waren zu klein und zu fein verteilt.
    »Dann halte dich an das Wassereis! Du kannst durch Elektrolyse den Sauerstoff herausziehen!«
    Ein Rettungsschiff würde Jahre brauchen, bis es Pluto erreichte. Man mußte das Schiff ganz neu bauen und auch ein neues Landefahrzeug entwerfen. Ich hatte nur noch die Batterien zur Verfügung.
    Früher oder später würde ich auch über keine Energie mehr verfügen können. Sammy sah dieses Problem überhaupt nicht. Er war viel verzweifelter als ich. Ich hatte noch genügend Vorrat an berühmten letzten Worten. Doch ich verzichtete darauf, sie hinaus in den Raum zu senden, weil sie Sammy zum Wahnsinn getrieben hätten.
    Ich passierte Jeromes Statue einmal zu viel. Dabei kam mir eine Idee.
    Das kommt davon, wenn man nicht sterben möchte.
    In Nevada, fast fünf Milliarden Kilometer von hier entfernt, liegt eine halbe Million Leichen, umgeben von flüssigem Stickstoff in unterirdischen Gewölben. Eine halbe Million Menschen warten dort auf eine irdische Wiederauferstehung, sobald die Medizin ein Verfahren kennt, um sie schonend wieder aufzutauen, ihre einstmals tödlichen Leiden zu heilen und alle zusätzlichen Schäden zu reparieren, die durch Eiskristalle in ihrem Körper entstanden waren.
    Eine halbe Million Narren? Aber was für eine andere Wahl hatten sie denn, als sie starben?
    Ich starb ebenfalls.
    Ein Mensch kann ein paar Zehntelsekunden im Vakuum bei Besinnung bleiben. Wenn ich mich rasch bewegte, konnte ich mich in dieser Zeit meines Anzugs entledigen. Ohne diese Wärmeisolierung würde Plutos schwarze Nacht mir in Sekunden meine Körperwärme entziehen. Bei fünfzig Grad absoluter Temperatur würde ich hier tiefgekühlt warten, bis für mich der Tag der Wiederauferstehung kam. Auf die eine Art oder die andere. Sonnenlicht …
    … und Sterne. Keine Spur mehr von dem kriechenden Klumpen, der mich gestern so ungenießbar fand. Aber vielleicht blickte ich nur in die falsche Richtung …
    Ich hoffte, es hat noch rechtzeitig Unterschlupf

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