Ringwelt 08: Der kälteste Ort
Warren Lewis Knowles. Er war zum Sterben verurteilt.
Zwar sollte der Prozeß erst morgen stattfinden; doch das Urteil stand trotzdem fest. Lew war schuldig. Wenn jemand daran zweifelte, so besaß die Anklage doch hieb- und stichfeste Beweise. Morgen Nachmittag um 18.00 Uhr würde Lew zum Tode verurteilt. Broxton würde das Urteil aus irgendeinem Grund anfechten. Doch man würde seinen Antrag verwerfen.
Die Zelle war klein, gepolstert und eigentlich recht gemütlich. Die Polsterung hatte nichts mit der geistigen Verfassung des Gefangenen zu tun. Unzurechnungsfähigkeit war keine Entschuldigung mehr für einen Gesetzesbrecher. Drei der Wände bestanden nur aus Gitterstäben. Die vierte Wand – die Außenwand – war mit Zement verkleidet und in einem wohltuenden Grün gestrichen. Die Stäbe, die ihn vom Korridor, von einem nörglerischen alten Mann links und einem finster vor sich hinstarrenden Teenager rechts trennten, waren vier Zoll dick und standen acht Zoll auseinander. Die Stäbe waren mit Silikonplastik überzogen. Zum vierten Mal schon versuchte Lew, die Plastikpolsterung von den Stäben zu reißen. Das Zeug fühlte sich an wie ein Schaumgummikissen, ließ sich aber nicht abreißen. Als er es wieder losließ, schnellte es in seine alte Lage zurück und bildete eine perfekte Rundung.
»Das ist nicht fair«, murmelte er.
Der Teenager reagierte nicht.
Zehn Stunden befand sich Lew jetzt schon in dieser Zelle, doch der Junge hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Er saß auf dem Rand seiner Koje. Sein langes, schwarzes Haar hing ihm in die Augen, während der Schatten der späten Nachmittagssonne seine Gestalt immer mehr verdunkelte. Er bewegte seine langen, behaarten Arme nur, wenn es etwas zu essen gab. Doch sein Rumpf verharrte immer an der gleichen Stelle.
Der alte Mann blickte hoch, als Lew sich beklagte. Er fragte mit bitterem Sarkasmus: »Hat man dich hereingelegt?«
»Nein, ich …«
»Du bist wenigstens ehrlich. Was liegt denn gegen dich vor?«
Lew berichtete. Er konnte den Ton verletzter Unschuld nicht ganz unterdrücken. Der alte Mann lächelte spöttisch und nickte, als habe er nichts anderes erwartet.
»Dummheit. Dummheit war schon immer ein Kapitalverbrechen. Wenn du dir schon eine Todesstrafe einhandeln wolltest, warum dann nicht für ein deftiges Ding? Siehst du den Jungen auf der anderen Seite?«
»Ja«, murmelte Lew geistesabwesend.
»Er gehört zu den Organpaschern.«
Lew spürte, wie der Schock sein Gesicht einfror. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und blickte in die Nachbarzelle hinüber. Jeder Nerv in seinem Körper zuckte. Der Junge blickte ihn an. Mit seinen stumpfen dunklen Augen unter den Haarsträhnen betrachtete er Lew wie ein Metzger ein Stück Rindfleisch.
Lew wich zu den Stäben zurück, die ihn von der Zelle des alten Mannes trennten. »Wie viele hat er getötet?« fragte er, heiser flüsternd.
»Niemanden.«
»Wieso?«
»Er war als Fänger tätig. Er ging durch die Straßen, bis er auf einen Passanten traf, der allein unterwegs war. Dann mußte er den Passanten betäuben und zu dem Doktor bringen, der den Schwarzhandel-Ring leitete. Der Arzt besorgte das Töten. Wenn Bernie einen toten Organspender angeschleppt hätte, hätte der Arzt ihm die Haut abgezogen.«
Der alte Mann saß nun mit dem Rücken zu Lew in seiner Zelle. Er hatte sich ein wenig zur Seite gedreht, um mit Lew reden zu können. Doch jetzt verlor er offenbar jedes Interesse an der Unterhaltung. Seine Hände bewegten sich ruhelos.
»Wie viele hat er eingefangen?«
»Vier. Dann wurde er gefaßt. Bernie ist nicht besonders intelligent.«
»Und was haben Sie verbrochen?« fragte Lew.
Der Alte antwortete nicht. Er wendete Lew wieder den Rücken zu und seine Schultern hoben und senkten sich, während seine Hände rastlos arbeiteten. Lew zuckte mit den Achseln und warf sich dann auf seine Koje. Es war 19 Uhr an einem Dienstagabend.
Der Ring hatte aus drei Fängern bestanden. Bernie wartete noch auf seinen Prozeß. Der zweite Fänger war tot – er hatte sich von einem Pedwalk gestürzt, als er die Gnadenkugel in seinen Arm einschlagen spürte. Der dritte Fänger wurde gerade auf einer fahrbaren Trage in das Krankenhaus gebracht, das an das Gerichtsgebäude angrenzte.
Offiziell lebte er noch. Er war verurteilt worden, und seine Berufung war verworfen. Doch er lebte noch, während sie ihn betäubt in den Operationssaal schoben.
Die Ärzte hoben ihn von der Trage und schoben ihm einen Schlauch in den
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