Ringwelt 08: Der kälteste Ort
diesem Blick Garners gelähmte Beine, seine schlaffe, haarlose Haut, die Jahrzehnte, die aus seinen Augen sprachen – und Lit erinnerte sich an das Alter seines Besuchers. »… War es das nicht?«
BETRUGSABSICHT
(INTENT TO DECEIVE)
Als sie landeten, nahm sie ein Kellner in Empfang. Er durchquerte das Restaurant wie ein plötzlich zum Leben erwachter Schachbauer, stoppte sacht auf der Landerampe, wartete lange genug, um sichergehen zu können, daß sie ihn bemerkt hatten, und schwebte dann in langsamem Schrittempo wieder nach drinnen.
Während er sich fortbewegte, drang lediglich das sanfte Flüstern von ausströmender Luft unter dem Saum seiner bodenlangen Schürze hervor. Die Maschine führte sie quer durch das Red Planet Restaurant, vorbei an besetzten und leeren Tischen, an Tischen mit kunstvoll arrangierten Fleischplatten und Blumenkelchen und an anderen flüsternden Robotkellnern. An einem Zweiertisch am anderen Ende des Raumes entfernte der Roboter einen der Stühle, um für Luke Garners Reisestuhl Platz zu schaffen. Irgendwie hatte er in Luke einen Querschnittsgelähmten erkannt. Den anderen Stuhl zog er ein Stück zurück, damit Lloyd Masney sich darauf niederlassen konnte.
Die Wandbilder im Restaurant waren in blassem Rot und hellem Silber gehalten: ein Mars a la Ray Bradbury mitsamt den silbernen Türmen und Erkern einer alten marsianischen Stadt, die in der roten Sandwüste lag. Ein gerader Kanal verlor sich zu beiden Seiten des großzügigen Raumes in der Ferne. Sein sprudelndes Wasser floß tatsächlich über den Fußboden und wurde von Brücken überspannt. Abgemagerte, zerbrechliche Marsianer waren in den Straßen des Wandgemäldes unterwegs. Manche blickten neugierig hinaus auf die Restaurantgäste, die menschlichen Eindringlinge in ihrer Scheinwelt.
»Ein seltsamer Ort«, stellte Masney fest. Er war ein großer, kräftig gebauter Mann mit weißen Haaren und einem buschigen weißen Schnurrbart.
Luke antwortete nicht. Als Masney aufblickte, ließ ihn der mißmutige Ausdruck im Gesicht seines Freundes wachsam werden. »Stimmt etwas nicht?« fragte er und wandte sich um, damit er Lukes Blicken folgen konnte.
Mit ausgesprochener Abneigung starrte Luke auf den Robotkellner.
Der Kellner war von der üblichen Bauweise. Unter einem glatten runden Kopf bestand der Körper im Wesentlichen aus einem Zylinder. Die Arme, mit denen er Masneys Stuhl zurechtgeschoben hatte, waren bereits wieder in den Torso-Öffnungen verschwunden, in dem sich ein Sortiment aus spezialisierten Armen, Händen, Behältnissen und Abstellflächen für Lebensmittel und Speisen befand. Wie alle anderen Kellner hatte man ihm ein abstraktes Muster aus stumpfem Rot und glänzendem Silber aufgemalt, damit er auch zu den Wandgemälden paßte. Der unterste Teil des zylindrischen Roboterkörpers bestand aus einem kurzen, sich bauschenden Rock. Ebenso wie Lukes Reisestuhl bewegte der Kellner sich auf einem Luftkissen.
»Stimmt was nicht?« wiederholte Masney seine Frage.
»Ist schon gut«, entgegnete Luke. Er griff nach der Speisekarte. Der Roboter wartete auf ihre Bestellung. Regungslos, sämtliche Arme eingefahren, war er zu einer Pop-art-Skulptur geworden.
»Nun sag schon, Luke. Warum hast du den Kellner so seltsam angestarrt?«
»Ich mag keine Robotkellner.«
»Hhmmm? Warum nicht?«
»Du bist mit ihnen aufgewachsen. Ich nicht. Ich habe mich nie an sie gewöhnen können.«
»An was muß man sich bei denen denn gewöhnen? Es sind Kellner. Sie servieren die Speisen.«
»Vergiß es«, sagte Luke und beschäftigte sich mit der Speisekarte.
Er war alt. Daß er seit zehn Jahren nicht mehr laufen konnte, war nicht auf eine Rückenmarkverletzung zurückzuführen. Zu viele Rückenmarksnerven hatten sich im Laufe der Jahre abgenutzt. Ein Spitzbart hatte früher einmal sein Kinn geziert, doch nun war es so kahl wie seine Augenbrauen und sein Schädel. Sein Gesicht, dank der Altersrunzeln von satanischer Qualität, erweckte augenblicklich die Aufmerksamkeit des Betrachters, und jeder noch so vage Gedanke spiegelte sich deutlich in Garners Ausdruck wider. Die lappige Haut seiner Arme und Schultern verbarg teilweise seine Muskeln, die noch aus seiner Zeit als Ringer stammten: die einzigen Partien an ihm, die noch jung erschienen.
»Jedes Mal, wenn ich glaube, dich endlich durchschaut zu haben«, sagte Masney, »verblüffst du mich. Du bist doch jetzt 174, nicht wahr?«
»Du hast mir immerhin eine Geburtstagskarte
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