Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
Kirsten ein wenig zurückschrecken. »Darf ich Ihren Holoprojektor benutzen?«
»Selbstverständlich.« Nessus fragte sich, wohin das wohl führte.
Kirsten rief eine Datei aus dem schiffseigenen Archiv auf. Eine Kugel mit unregelmäßig geformter Oberfläche erschien: der Meeresboden des Eismondes, der sonst unter gewaltigen Wassermassen verborgen war. Über den gesamten Meeresgrund waren leuchtende Punkte verteilt, einige von ihnen blinkten. »Die roten Punkte dort stehen für größere Datenarchive. Wenn sie blinken, bedeutet das, dass das entsprechende Archiv mit einflussreicheren Entwicklungszentren der Gw’oth in unmittelbarem Kontakt steht.«
»Irgendwo mussten deren Forschungszentren ja sein. Was nützt es, deren Positionen zu kennen?«
»Und jetzt sehen Sie sich das hier an«, fuhr Kirsten einfach fort. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, als ein zweites Hologramm erschien.
Es zeigte eine wimmelnde Masse miteinander verschlungener Aliens. Nessus’ Magen krampfte sich zusammen, als der Blickwinkel sich änderte und eine weitere, vergleichbare Szenerie erschien, dann noch eine … und noch eine. Es gab lang gestreckte Reihen zuckender Aliens, pulsierende Gruppenanordnungen und wimmelnde Haufen. Dass diese Aliens ihre Fortpflanzung vor laufender Kamera betrieben, widerte Nessus an.
Reproduktion war reine Privatsache. Bei den Bürgern diente Sex ausschließlich der Reproduktion. Kein Bürger fühlte sich sonderlich wohl dabei, mit anderen Spezies über Sexualität zu sprechen. So fiel es Nessus nicht schwer, Kirsten allein durch den Tonfall deutlich zu machen, dass er derartige Dinge zutiefst missbilligte. »Ich habe kein Interesse am Sexualleben anderer.«
Kirsten wurde noch roter, doch sie gab nicht auf. »Ich weiß, wonach das hier aussieht. Als wir während unserer rein zufälligen Scans der Videokanäle derartige Bilder erhielten, habe ich immer sofort weitergeschaltet. Aber dann ist etwas Bemerkenswertes geschehen: Je länger wir hier waren, desto häufiger sind wir bei unseren Scans über solche Bilder gestolpert. Derartig gewaltige technologische Veränderungen zu bewirken, ja alleine schon die Forschungsreise hinaus auf die Eisdecke und dazu noch der Verdacht, es könne bislang ungesehene Beobachter geben – das alles muss für die Gw’oth immensen Stress bedeuten. Zunächst dachte ich – und ich bitte Sie, mir zu verzeihen, wenn ich jetzt ein derart delikates Thema anspreche –, sie würden diesen Stress durch gesteigerte Sexualaktivität kompensieren.«
Kirsten war nicht in der Lage, Nessus in die Augen zu blicken – und er vermutete auch zu wissen, wieso. Auch Menschen reagierten auf Stress in dieser Art und Weise. Zögerlich bedeutete er Kirsten mit einer Geste weiterzusprechen.
»Dann ist mir eine bemerkenswerte Korrelation aufgefallen: Diese … Aktivität hier korrespondiert exakt mit der Zunahme der Daten in den Archiven. Am ausgeprägtesten sind diese Aktivitäten dort, wo die Archive am schnellsten wachsen. Was könnte das bedeuten? Voller Verzweiflung habe ich mich dazu gezwungen, mir das Bildmaterial genauer anzusehen.« Sie ließ die Bilder einfrieren und deutete auf ein Standbild. »Schauen Sie genau hin«, sagte sie und schluckte hörbar, »dann werden Sie feststellen, dass jeder Gw’o mit jeweils vier anderen Gw’oth seine … ähm … Röhren verbunden hat.«
Auch Nessus musste sich regelrecht zwingen, das Bild zu betrachten, um das zu bestätigen, was die Kolonistin ihm hier gerade erklärt hatte. »Warum ist das von Bedeutung?«
Erneut blickte sich Kirsten in der Kabine um; vielleicht hatte sie ja beim letzten Mal eine Sitzgelegenheit einfach übersehen. Nachdem sie sich nun überzeugt hatte, dass dem nicht so war, ließ sie sich auf einen Kissenstapel sinken. »Ich habe bisher noch nicht erwähnt, bei welchem Datenarchiv diese Bilder aufgenommen wurden: Dieses spezielle Archiv hat sich auf Raketentechnik spezialisiert. Und die Interaktion in dieser Gruppe dort findet seit Tagen statt … Sie fängt an und hört wieder auf, und es scheint, als hielte sich diese Gruppe dabei ganz an die Arbeitszeiten der Gw’oth-Stadt, in der dieses Archiv liegt. Und immer, wenn die Aktivität wieder aufgenommen wurde, konnten wir ein starkes Wachstum in sämtlichen Datensätzen beobachten, die in irgendeiner Weise mit Raketendüsen zu tun haben.«
Raketendüsen? Nessus musste sich anstrengen, um sich vorstellen zu können, warum man derartige Dinge würde entwickeln wollen. Das
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