Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
verrückte Idee. Doch genau wie Nessus war auch Kirsten nicht bereit, sich von ein wenig Wahnsinn aufhalten zu lassen.
KAPITEL ZEHN
Dass er herbeigerufen wurde, hatte zugleich etwas immens Belebendes und äußerst Nerven aufreibendes. Als die vorgegebene Zeit schließlich gekommen war, gab Nessus mit der Zunge die Stepperscheiben-Koordinaten ein, die Teil der Vorladung gewesen waren.
Nessus’ winziges Schlafzimmer verschwand; nun tauchte er in einem noch kleineren Raum mit glatten Wänden auf. Fast wirkte dieser Raum wie ein ungenutztes Wartezimmer. Ein Scanner tastete Nessus mit einem blauen Lichtstrahl ab – vermutlich wurde hier gleichzeitig nach möglicherweise gefährlichen Werkzeugen gesucht und Nessus’ Retinaabdruck überprüft. Vorsichtig klopfte Nessus gegen die Wand des Foyers, und schon wurden seine Befürchtungen bestätigt: Das hier war kein gewöhnlicher Eingang. Nessus war hier von dem nahezu unzerstörbaren Material umgeben, aus dem Raumschiffsrümpfe gefertigt wurden. Gleißend hell schienen leistungsstarke Deckenstrahler auf Nessus herab. Zweifellos konnte man die Intensität dieser Strahler auch so weit steigern, dass sie für unerwünschte Eindringlinge hier tödlich wäre – Licht des sichtbaren Spektrums gehörte zu den wenigen Dingen, die tatsächlich auch das Material zu durchdringen vermochten, aus denen General-Products-Zellen gefertigt wurden.
Plötzlich befand sich Nessus außerhalb dieser Sicherheitskammer; eine Stepperscheibe im Boden der Isolationszelle hatte ihn weitergeschnellt.
»Willkommen im Außenministerium«, trällerte eine aufgezeichnete, äußerst melodische Stimme. »Bitte Warten Sie hier.«
Nessus ließ sich auf einen Stapel Kissen sinken. Er empfand es nicht als Zumutung, warten zu müssen – die Sicherheitsvorkehrungen hatten an seinen Nerven gezerrt, und Nessus war ganz dankbar dafür, sich wieder ein wenig sammeln zu können. Natürlich ging ihm noch deutlich mehr durch den Kopf als nur Fragen der Sicherheit jedweder Art.
Hatte es jemals eine Zeit gegeben, in der er nicht in Nike verliebt gewesen war? Solange Nessus sich erinnern konnte, war der charismatische Politiker der Liebling sämtlicher Medien gewesen. Nike war so schwungvoll und schlagfertig, so geistesgegenwärtig und so ausgeglichen – und so wunderschön –, dass er unablässig in den Nachrichten erwähnt wurde. Und Nikes exotischen politischen Positionen hatten Nessus’ Faszination für diesen Bürger nur noch gesteigert.
Dass seine Eltern das alles missbilligten, hatte Nessus’ jugendliche Begeisterung nur weiter angefacht. Jeden öffentlichen Auftritt Nikes hatte Nessus mitgeschnitten und sie wieder und wieder angeschaut. Viele politische Veranstaltungen waren öffentlich zugänglich, und Nessus hatte mindestens sechzig davon besucht. Rein abstrakt wusste Nessus zwar, dass sich Nikes Positionen im Laufe der Jahre mehrmals geändert hatten. Doch tief in seinen Herzen machten auch diese Änderungen nicht das Geringste aus.
Seine Anhänger hielten Nike für kreativ, flexibel und originell. Seine Kritiker hielten ihn vor allem für ehrgeizig und wagemutig. Letztendlich jedoch war es egal, welche dieser Beschreibungen nun eher zutraf. Nessus hatte die lang währende Tradition seiner Familie aufgegeben, stets die Konservativen zu unterstützen. Und daraufhin hatte seine Familie ihn aufgegeben.
Während die meisten aus Nessus’ Umfeld ihre Zeit mit gesellschaftlichen Veranstaltungen und albernen Hobbys verschwendeten, hatte sich Nessus für jedes Experimental-Projekt freiwillig gemeldet, das möglicherweise auch Nikes Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Leider war das nie geschehen, und so hatte Nessus ein eigenes, noch innovativeres Programm vorgeschlagen. Und anscheinend hatte seine Initiative, Kolonisten zu Kundschaftern auszubilden, nun tatsächlich Nikes Aufmerksamkeit erregt.
Heute würde er endlich Nike persönlich kennen lernen!
»Folgen Sie mir.« Ein hochgewachsener Mitarbeiter mit auffallend grünen Augen, der eine grüne Brosche an seinem Mehrzweckgürtel trug, war am anderen Ende des Raumes erschienen. Seine Körperhaltung verriet eindeutig die Verachtung, die er diesem ungepflegten Besucher gegenüber empfand. »Der Herr Vizeminister wird Sie jetzt empfangen.« Dann war er fort.
Mit hämmernden Herzen ging Nessus auf die vorübergehend aktive Stepperscheibe zu. Er materialisierte vor einer offen stehenden Bürotür. Alleine schon der gepolsterte Arbeitsbereich,
Weitere Kostenlose Bücher